Mindestlohn in der Stadt Zürich in Griffweite

23.90 Franken pro Stunde für (fast) alle

Clemens Studer

Die Initiative von Gewerkschaften und fortschrittlichen Parteien wirkt: Der Mindestlohn für die Stadt Zürich ist auf gutem Weg.

DIE NÄGEL SCHÖN … der Lohn eher nicht. Kosmetikerin in einem Nagelstudio in Zürich. (Foto: Keystone)

Zürich ist ein teures Pflaster. Je nach Ranking ist sie die teuerste oder die zweitteuerste Stadt der Schweiz nach oder vor Genf. Trotzdem verdienen rund 17’000 Menschen, die in Zürich arbeiten, weniger als 4000 Franken brutto pro Monat für eine 100-Prozent-Stelle. Sie sind Working Poor, also arm trotz Arbeit. Das ist unwürdig. Deshalb haben Gewerkschaften, fortschrittliche Parteien und Hilfswerke die In­itiative «Ein Lohn zum Leben» eingereicht. Diese verlangt einen Mindestlohn in der Stadt Zürich von 23 Franken. Die Zürcher Stadtregierung hat einen ­Gegenvorschlag ausgearbeitet, der aber unverständlicherweise Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren ohne abgeschlossene Ausbildung davon ausschliesst. Dieser Gegenvorschlag ist jetzt in der zuständigen Parlamentskommission angenommen worden – mit den Stimmen von Linken und Grünen und der Mitte/EVP-Fraktion. Und er berücksichtigt in der Kommissionsfassung bereits die Teuerung und legt den Mindestlohn auf 23.90 Franken fest. Das Geschäft kommt nun vor das Gemeindeparlament. Serge Gnos, Co-Leiter Unia Zürich-Schaffhausen, sagt dazu: «Es ist erfreulich, dass die Mehrheit der Kommission anerkennt, dass es in Zürich einen Mindestlohn braucht, der zum Leben reicht.»

17’000 Angestellte in der Stadt Zürich verdienen weniger als 4000 Franken.

DAS ABSOLUTE MINIMUM

Nicht zufrieden sind die Initiantinnen und Initianten mit den Einschränkungen für junge Menschen. Und bei der vorgesehenen zweijährigen «Schonfrist» bei der Mindestlohneinführung für KMU in «schwieriger wirtschaftlicher Situation» orten sie Missbrauchspotential. Gnos: «Da werden wir genau hinschauen müssen.» Ziehen die Initianten jetzt ihre Initiative zurück? Unia-Mann Gnos sagt dazu: «Für einen solchen Entscheid ist es noch zu früh. Wir erwarten, dass das Gemeindeparlament die kleinlichen Einschränkungen für Junge korrigiert. Das ist ein neues Schlupfloch für Lohndumper.» Und überhaupt: «Der Gegenvorschlag in der vorliegenden Form ist das absolute Minimum.» Übrigens: Die gleiche Initiative wurde auch in ­Winterthur eingereicht. Auch dort beantragt die Stadtregierung einen Gegenvorschlag. Allerdings soll es statt 23 Franken, wie die Initia­tive verlangt (oder 23.90 Franken, wie sie im Zürcher Gegenvorschlag stehen), nur einen Mindestlohn von 21.60 Franken geben. Dazu Serge Gnos: «Es ist überhaupt nicht einsichtig, warum 20 Kilometer von Zürich entfernt die Lebenskosten 10 Prozent tiefer sein sollten.»

Mindestlöhne: Rechter Sturmlauf

Mindestlöhne sind den rechten Parteien ein Dorn im Auge. Darum bekämpfen sie diese auf nationaler, kantonaler und städtischer Ebene. Aktuell mit einer vom nationalen Parlament überwiesenen Motion von Mitte-Ständerat Erich Ettlin, die kantonale Mindest­löhne übersteuern will, wenn die besser sind, als in einem allgemeinverbindlich erklärten GAV festgelegt. Bedroht sind dadurch aktuell die kantonalen Mindestlöhne in Neuenburg und Genf (work berichtete: rebrand.ly/frontalangriff). Als Beispiel möglicher Auswirkungen wird dort der Hinterrücks-GAV von Syndicom mit der Lohndrücker-Bude Smood angeführt. Etwas verkürzt.

BLAUPAUSE. Deshalb hier noch ausführlich die Mechanik dahinter: Der Smood-GAV ist ein Firmen-GAV. Solche können logischer­weise nicht allgemeinverbindlich erklärt werden. ­Allerdings scheint die Syndicom ihn als Blaupause für einen Branchen-GAV nehmen zu wollen. Wörtlich schrieb sie beim Abschluss: «Er (der Smood-GAV) setzt auch ein wichtiges Zeichen für die gesamte Branche. Derzeit laufen Verhandlungen über einen branchenweiten Gesamtarbeitsvertrag für ­Kurierdienste.» Sollte also dieser Branchen-GAV auf der Basis des Smood-Firmen-GAV zustande kommen und allgemeinverbindlich erklärt werden, ­würde er nach dem Ettlin-Modell die Mindestlöhne in Genf und Neuenburg übersteuern. Übrigens: Wer sich selber ein Bild machen möchte, wie sich der Hauruck-GAV vom Gas­tro-GAV und den Empfehlungen der Genfer ­Behörden unterscheidet, kann das hier nachlesen: rebrand.ly/syndicom-smood. (cs)

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