Der Chef des Gewerbeverbands geht in Pension – und wechselt zur SVP

Ein Berner namens Bigler im Zürcher Säuliamt

Clemens Studer

Hans-Ulrich Bigler (64) hat den Schweizerischen Gewerbeverband zu einem Seitenwagen der Blocher-SVP gemacht. Jetzt gehört er dieser auch offiziell an.

RECHTER HARDLINER: Sein ganzes Berufsleben verbrachte Hans-Ulrich Bigler entweder in Wirtschaftsverbänden, in der Armee oder für die FPD im Nationalrat. (Foto: Keystone)

Der April 1958, an dessen fünftem Tag, einem Samstag, Hans-­Ulrich Bigler geboren wurde, war ein sonnenarmer Monat. Für das Berichtsjahr 1958 meldete das Jahrbuch des Statistisches Amtes der Stadt Bern 23 Sonnenstunden weniger als im langjährigen Mittel. An 15 Tagen fielen 0,3 Millimeter oder mehr Niederschlag. An 8 Tagen schneite es.

Bigler Hans-Ueli wuchs. Wur­­de älter und Betriebswirtschaf­ter. Danach verbrachte er sein ganzes Berufsleben entweder in Wirtschaftsverbänden oder in der Armee. Und vier Jahre war er im ­Nationalrat (auf Kosten der Steu­erzahlenden). Doch dazu später.

Unter Bigler machte der SGV weniger Kampagne für seine Mitglieder als für neoliberale Projekte.

BIGLERS TURBO-JAHRE

Seit er sein Studium abgeschlossen hat, arbeitet Bigler ausschliesslich für Verbände. Er leitete während zehn Jahren den Dachverband der Druckindustrie Viscom, danach für rund zwei Jahre den Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Swissmem. Irgendwann zügelte er nach Affoltern am Albis, ins Zürcher Säuliamt. 2008 wurde er Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands SGV. Als Nach­folger des zwar stockbürgerlichen, aber politisch konstruk­tiven Pierre Triponez, der den Verband davor 18 Jahre lang geführt hatte. Bigler machte sich umgehend daran, den SGV zur Speerspitze des Bürgerblocks aus SVP und FDP zu machen und den Gewerbeverband zur schlagkräftigen Kampagnenorganisation.

Sein Meisterstück gelang ihm 2010: Während andere Verbände ihre Kommunikation zurückfuhren, sich ganz oder teilweise von Printprodukten zurückzogen, gab Bigler beim SGV in die gegenteilige Richtung Gas. Er machte aus der betulichen «Gewerbezeitung» mit rund 23’000 Exemplaren Auflage ein Gratis-Massenblatt mit 150’000 verteilten Exemplaren. Für die Kampagnenführung war und ist das noch heute Gold wert. Dabei waren es längst nicht mehr Kampagnen im mehrheitlichen Interesse der angeschlossenen Verbände und ihrer Mitglieder. Sondern neoliberale rechtsbürgerliche Projekte, in die der SGV seine Energie und seine Mittel steckte. Daran wurde – besonders als die Kampagnen immer unflätiger wurden (siehe unten) – auch intern Kritik laut. Denn die meisten gewerblichen Mitgliederverbände sind eigentlich unpolitisch, wie ­­­es Andreas Rieger, der ehemalige Co-Präsident der Unia, analysiert (siehe Box unten).

EXKURS I: NO BILLAG

Es war eine der widerlichsten Kampagnen der jüngeren Polit­geschichte. Mit Lügen: «Billag-­Gebühren bei einem Ja pro Jahr dann 1000 Franken». Und persönlichen Attacken: Die damalige CVP-Bundesrätin Doris Leuthard stellte sie als Strassenräuberin dar. Biglers SGV engagierte die im rechtsnationalistischen Milieu bestens vernetzte Agentur Goal, die auch für die SVP und die deutsche Rechtsaussenpartei AFD tätig ist. Die Billag-Gebühren hatten zwar mit der Lebens- und Geschäftsrealität von Gewerblerinnen und Gewerblern nichts zu tun – dafür viel mit Aufmerk­samkeitsökonomie für Bigler. Die damals noch nicht völlig vereinigten Aargauer und Zürcher Zen­tral­redaktionen schenkten ihm viel Platz. Trotz viel Geld und viel Mediensupport scheiterte die «No Billag»-Initiative krachend. Alle Kantone und 71,6 Prozent der Stim­menden sagten Nein. Aber Bigler hatte es geschafft, er war national bekannt.

BÄREN: Der Bär ist das Wappentier Berns – und Berlins. Für die deutsche Hauptstadt hat der Künstler Andreas Jordi einen United Buddy Bear ge- ­­­­­­­­schaffen. Jordi ist aufgewachsen, wo der Berner Bigler unterdessen wohnt: in Affoltern am Albis. (Foto: Wikipedia)

EXKURS II: PAUSCHALBESTEUERUNG

Im Oktober 2014 marschierte ­Bigler medial begleitet im Se­kretariat des Schweizerischen ­Gewerkschaftsbunds auf. Als selbsternannter Arbeiterführer wetterte er gegen die Unter­stützung der Gewerkschaften für die Abschaffung der Pauschal­besteuerung für ausländische ­Oligarchen. Im Gepäck hatte er 400 Unterschriften von angeblich besorgten Lohnabhängigen aus dem Berner Oberland. Diese seien besorgt, weil der SGB die Abschaffung der Pauschalbesteuerung unterstütze. Das würde nämlich Arbeitsplätze gefährden. Bigler forderte die Gewerkschaften auf, sich den Vorwürfen «seiner» Arbeiter zu stellen, und zwar in Zweisimmen BE in einer Werkhalle. Dumm für Bigler I: Die Gewerkschaften kamen vorbei. Der heutige Unia-Bau-Chef Nico Lutz sagte damals: «Wenn Büezer mit uns diskutieren wollen, sind wir zur Stelle.» Dumm für Bigler II: Unter den 150 Anwesenden in der Halle waren kaum Lohnabhängige. Reden taten vor allem Arbeitgeber. Peinlich für Bigler: Er zeigte sich gar nicht. Das kam bei den Gewerblern nicht gut an. Der damalige work-Reporter berichtete von aufgebrachten Gewerblerinnen und Gewerblern: Bigler habe auf ihrem Buckel sein eigenes Süppchen gekocht und sich in den Medien wichtig gemacht. Er wollte halt einfach unbedingt in den Nationalrat. Und das gelang ihm dann auch.

BIGLER IM BUNDESHAUS

Wobei: Genaugenommen wurde Bigler nicht einmal auf Anhieb gewählt. In den Nationalrat rutschte er, weil Ruedi Noser (FDP) im zweiten Wahlgang zum Ständerat gewählt wurde. Und weil Bigler mehr SVP-Stimmen sammelte als sein direkter Konkurrent. Wäre es nach den FDP-Wählenden gegangen, hätte er draussen bleiben müssen. Und das musste Bigler dann vier Jahre später auch wieder. Trotz riesiger medialer Schützenhilfe wählte ihn das Zürcher Volk wieder ab. Sang- und klanglos.

BIGLERS CORONA-JAHRE

Noch einmal zu propagandistischer Hochform lief Bigler während der Corona-Pandemie auf. Zusammen mit seinem Mitstreiter Casimir Platzer, dem Präsidenten von Gastrosuisse, griff er forsch die Pandemie-Bekämpfungsmassnahmen an. Platzer und Bigler bewegten sich an der Grenze zu Corona-Schwurblern und vergassen in ihrem antistaatlichen Furor, sich um die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Mitglieder in Corona-Krisenzeiten zu kümmern. So mussten die linken Parteien und die Gewerkschaften dafür sorgen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen und die Selbständigerwerbenden von staatlichen Unterstützungsprogrammen profitierten. Bigler rumpelstilzelte derweil rum, weil die noch geöffneten Grossverteiler während des Lockdowns am Anfang noch Grabkerzen und Schnittblumen verkaufen durften. Davon hatten die SGV-Mitglie­der aber auch nichts.

Doch Bigler erhielt einmal mehr die persönliche me­diale Aufmerksamkeit, ohne die er nicht kann.

BIGLER BEI DER SVP

Nach seiner Abwahl war die FDP nicht mehr so scharf auf Bigler, wie der das gerne gehabt hätte. Als er der NZZ sagte, «es wäre ja Know-how bei mir vorhanden. Wenn man das nicht braucht – no hard feelings», tönte das eher trotzig als cool.

Der 29. August 2022 ist ein sonniger Tag, und es ist 25 Grad warm. Im Hotel Ibis in Zürich Oerlikon sitzt Bigler mit dem SVP-Nationalrat und Millionenerben Thomas Matter und dem Zürcher SVP-Kantonalparteipräsidenten Domenik ­Ledergerber an einer SVP-­Medienkonferenz zur Energiepolitik. Die drei Herren fordern einen «Stromgeneral». Aber das interessiert weniger als der Parteiwechsel von Bigler.

Dessen Outing als SVPler wäre eigentlich erst für den Frühling geplant ge­wesen. Zum Auftakt der kantonalen Wahlkampagne. Doch der «Blick» hat den rechten Tischbomben-Knall vereitelt, indem er Biglers Parteiwechsel vorab bekanntmachte.

Bigler kandidiert im nächsten Jahr fürs Zürcher Kantonsparlament. Wenns klappt, möchte er im Herbst auch auf die Nationalratsliste. Kurzum: Ein Berner namens Bigler ist definitiv angekommen. In der Zürcher SVP. Im Zürcher Säuliamt.

Studie: So ticken die Arbeitgeber-Verbände

work-Kolumnist Andreas Rieger legte im vergangenen Jahr auf gut vierzig Seiten eine profunde Analyse zur Geschichte und Gegenwart der Verbände der Arbeitgeber vor (work berichtete). Rieger weiss, wovon er schreibt: Als ehemaliger Co-Präsident der Unia focht er selbst während Jahren viele Kämpfe mit den Arbeitgebern aus. In seinem Papier zeigt Rieger auf, wie stark sich die Arbeitgeberszene in der Vergangenheit gewandelt hat.

Andreas Rieger: Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in der Schweiz. Bestellung bei Unia Kommunikation, Weltpoststr. 20, 3000 Bern. Download: rebrand.ly/rieger-verbände

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