Shiva Khosravi (34) eindrückliche Kongress-Rede über die Revolte im Iran

«Der Funke, der den Bart der Ayatollahs in Brand setzt»

Die Künstlerin Shiva Khosravi wurde 1987 in Isfahan geboren. Mit 22 hat sie den Iran verlassen, um in Genf Grafikdesign zu studieren.

EXIL-IRANERIN: Shiva Khosravi. (Foto: Monique Wittwer)

«Vor 72 Tagen wurde die 22jährige Jina Mahsa Amini von der ‹Sittenpolizei› zu Tode geprügelt, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen hatte. Tausende Menschen sind seither auf die Strasse gegangen, um gegen das Mullah-Regime zu protestieren.

Der Kampf für Demokratie ist im Iran seit über hundert Jahren im Gange. Er begann mit der Konstitutionellen Revolution von 1906. Der erste iranische Premierminister Mohammad Mossadegh, der das Öl im Iran verstaatlichte und auch versuchte, eine säkulare Demokratie ­im Iran einzuführen, wurde durch einen von den USA und dem Vereinigten Königreich inszenierten Staatsstreich gestürzt.

Die Revolution von 1979 für die Einführung einer Demokratie wurde von Ayatollah Khomeini gestohlen. Seitdem haben wir den Kampf nie aufgegeben und weiter für Demokratie und Freiheit gekämpft.

Die iranischen Frauen begannen ihren Kampf gegen die Einführung des Kopftuchs am Tag nach der Machtübernahme durch die Ayatollahs. Am 8. März 1979 fand die erste Frauendemonstration in Teheran statt.

FRAU. Seit dem 16. September 2022 brennt der Iran. Mehr als 400 Menschen starben, mindestens 60 Kinder wurden bei den Protesten getötet, und mehr als 16 000 Menschen wurden verhaftet. Es ist eine Revolution, die vollkommen säkular ist und sich nicht gegen die Religion richtet, sondern gegen ein reli­giöses politisches System.

Die Islamische Republik reduziert Frauen auf ihre reproduktive Funktion. Ab dem Alter von sechs Jahren müssen wir einen Schleier tragen, und ab neun Jahren gilt das Kind als erwachsene Frau und darf heiraten.

LEBEN. Wir dürfen das Land nicht ohne die ­Erlaubnis unserer Väter oder Ehemänner verlassen. Wir haben kein Scheidungsrecht, ­wir haben kein Sorgerecht für unsere Kinder, eine Frau ist vor Gericht, als Zeugin oder auch beim Erbe nur halb so viel wert wie ein Mann, und diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen …

‹Frau, Leben, Freiheit› ist der Slogan dieser Revolution geworden, den Frauen und Männer auf der ganzen Welt rufen. Männer unterstützen Frauen, denn wenn die Rechte der Frauen respektiert werden, werden auch die Rechte der Männer respektiert!

Es sind nicht nur die Frauen, die im Iran leiden. Die ethnischen Minderheiten, die Kurden, die Belutschen, die Türken und Araber im Iran, die religiösen Minderheiten, die LGBTQ, die Arbeitenden, all die Menschen, die bis heute von ihren Rechten ausgeschlossen wurden.

FREIHEIT. Die Streiks nehmen von Tag zu Tag zu, und auch die Arbeiterinnen und Arbeiter sind Teil dieser Revolution. Sie leiden in letzter Zeit noch mehr, ihr Alltag ist beschwerlich, mit Löhnen, die nicht zum Leben reichen. Der Rial hat 82 Prozent seines Wertes verloren, die Inflation ist offiziell auf 54 Prozent gestiegen, und das Regime hat die Löhne nicht erhöht, sondern die Arbeiter haben seit mehreren Monaten keine Löhne mehr erhalten.

Diese Streiks, die derzeit im Iran stattfinden, kann man zweifellos als politische Streiks bezeichnen. Alle Menschen, die streiken, versammeln sich derzeit im Iran an ­ihren Arbeitsplätzen und beginnen, Parolen gegen das Regime zu singen, und erklären ihre Solidarität mit dem iranischen Volk, das auf der Strasse demonstriert, und auch ihre Unzufriedenheit mit dem Regime, der wirtschaftlichen Situation, der Korruption.

Die Situation der Menschen, die im Iran streiken, ist nicht die gleiche wie in der Schweiz. Die Arbeitenden begeben sich in ­Gefahr, weil das Regime ihnen und ihren ­Familien mit Tod oder Gefängnis droht und auch damit, dass sie ihre Arbeit verlieren oder ihre Löhne nie erhalten werden. Aber trotzdem unterstützten sie weiterhin die ­Revolution und zeigen ihre Solidarität mit den Menschen auf der Strasse.

Wir hoffen, dass die Schweizer Gewerkschaften ein starkes Signal der Solidarität mit den Völkern des Iran setzen werden. Zur Unterstützung des entscheidenden Kampfes im Land lauteten unsere Forderungen:

  1. Ausweisung aller Diplomaten der Islamischen Republik aus der Schweiz,
  2. Verhängung harter, gezielter Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Islamischen Regimes und die Mitglieder der IRGC (Revolutionsgarden).
  3. Blockieren und Einfrieren aller Vermögenswerte des Regimes, die direkt oder über Alibifirmen in Finanzinstituten, Immobilien, Import-Export-Geschäften usw. angelegt sind.
  4. Hilfsgelder zur Unterstützung der streikenden Arbeiter im Iran.
  5. Es wäre sehr zu begrüssen, wenn die Schweizer Gewerkschaften ihre Solidarität mit den streikenden Arbeitern, die im Iran ihr Leben riskieren, durch eine Demonstration zeigen würden.

Jina Mahsa Amini wurde für die Freiheit im Iran geopfert, ihr wehendes Haar war der Funke, der den Bart der Ayatollahs in Brand setzte.»

Aus dem französischen übersetzt von Anne-Sophie Zbinden

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