Nach Sommaruga-Rücktritt sind jetzt zwei Bundesratssitze frei …

… und schon beginnt das grosse Rechnen

Clemens Studer

SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga tritt überraschend zurück. Was das für die Bundesratsersatzwahl vom 7. Dezember aus gewerkschaftlicher Sicht bedeutet.

AUS PRIVATEN GRÜNDEN: Nach 12 Jahren im Amt tritt SP-Bundesrätin und Umweltministerin Simonetta Sommaruga auf Ende Jahr zurück. (Foto: Keystone)

Es war ein berührender Auftritt am 2. November (Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Simonetta Sommaruga erklärte nach zwölf Jahren ihren Rücktritt aus dem Bundesrat. Das war so nicht geplant. Sie sagte: «Dieser Entscheid kommt etwas abrupt, auch für mich, und früher als vorgesehen.» Doch sie hat gute beziehungsweise tragische Gründe für ihren Entscheid: «Mein Mann hat vorletzte Woche einen Schlaganfall erlitten. Das war ein grosser Schock für uns beide.»

Sommaruga hat in ihren zwölf Jahren im Bundesrat Meilensteine gesetzt. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth sagt: «Sie hat wichtige Schritte für die Energiewende ergriffen und den Klimaschutz gestärkt. Sie hat für mehr Lohngleichheit gesorgt und das Familienrecht modernisiert.» Sommaruga war eine Hass­figur der Rechten und wurde unter aller Kanone angefeindet.

So sähe der korrekte Bundesrat aus: 2 SVP, 1 FDP, 1 CVP, 2 SP, 1 Grüne

FINDUNGSPROZESS

Die SP hat den Findungsprozess trotz des überraschenden Rücktrittszeitpunkts rasch gestartet. Offensichtlich ist die Partei organisa­torisch und personell besser auf­gestellt als die SVP (siehe Artikel ­unten). Das Parteipräsidium und das Fraktionspräsidium plädieren für ein Zweier-Frauenticket, wobei nicht beide Kandidatinnen aus der Deutschschweiz stammen müssen. Die definitiven Kriterien wird die SP-Bundeshaus-Fraktion am 18. November festlegen. Dann haben Interessierte drei Tage Zeit, sich zu melden. Das definitive Ticket bestimmt die Fraktion am 26. November. Am 7. Dezember wählt die Bundesversammlung.

RECHTER ANGRIFF?

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist zentral, dass die sozial-feministisch-­ökologischen Kräfte im Bundesrat gestärkt und nicht geschwächt werden. Noch während die Rücktrittspressekonferenz von Simonetta Sommaruga lief, meldeten sich ers­­te rechte Politiker mit der Aufforderung an die Grünen, jetzt den SP-Sitz anzugreifen, wenn es ihnen mit dem Regierungswillen ernst sei. Diese Geschichte wird in unterschiedlichen Worten schon vielfach erzählt werden, bis dieses work am Freitag in den Briefkästen liegt. Um das vorherzusagen, braucht es bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe (Mittwoch) keine hellseherischen Gaben. Die Aargauer und Zürcher Zentralredaktionen sind immer flink darin, die fortschrittlichen Kräfte kleinzurechnen. Das haben sie vor drei Jahren bei den Gesamterneuerungswahlen bewiesen und seither immer wieder. Sie bringen dann gerne ein «Blockmodell», bei dem die FDP der Mitte zugerechnet wird – wobei diese doch sonst so grossen Wert drauflegt, mit der SVP die meisten Gemeinsamkeiten zu haben.

Dabei ist klar: Den Grünen steht ein Sitz im Bundesrat zu. Politisch sowieso und arithmetisch erst recht. Und zwar auf Kosten der FDP, die mit ihren aktuell zwei Sitzen überver­treten ist – und zusammen mit der SVP eine absolute rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundesrat stellt.

RICHTIG RECHNEN

Linke Behauptungen? Nein, einfach richtig gerechnet. Und das geht so: Gewählt wird der Bundesrat von der Vereinigten Bundesversammlung. Von 200 Nationalrätinnen und -räten. Und von den 46 Ständerätinnen und -räten. Darum sind die Fraktionsgrössen in beiden Räten politisch wichtiger und real entscheidender als die Stimmenprozente bei den Nationalratswahlen.

Schaut man präzise hin, sieht es so aus: Die Fraktionen von SVP und FDP haben zusammen 102 Sitze. Die Mitte-Fraktion plus GLP haben zusammen 60. Und die Fraktionen von SP und Grünen zusammen 83 Sitze. Das bedeutet bezogen auf die Bundes­versammlung: Rechts kommt auf 41,46 Prozent. Die Mitte auf 24,4 Prozent. Die Linke auf 33,7 Prozent.

Umgelegt auf die 7 Bundesratssitze ergibt das: Rechte 2,9 Sitze. Mitte 1,7 Sitze. Linke 2,4 Sitze. Zum gleichen Resultat führt auch, wenn nur die Parteisitze in der Bundesversammlung berücksichtigt werden (also ohne jene Fraktionsmitglieder, die nicht der namensgebenden Partei angehören). Dann sieht es so aus: SVP 1,67 Sitze; SP 1,36 Sitze; FDP 1,16 Sitze; CVP 1,08 Sitze. Die Grünen 0,93 Sitze. GLP: 0,71. Die korrekte Bundesratszusammensetzung sähe also so aus: 2 SVP, 1 FDP, 1 CVP, 2 SP, 1 Grüne. Zumindest bis nach den Wahlen vom Oktober nächsten Jahres.

Die kommenden Wochen werden zeigen, wie wild entschlossen rechte Parteien sind, das Momentum des Sommaruga-Rücktritts auszunutzen und die absolute SVP-­FDP-Mehrheit für die nächsten Jahre zu betonieren. Die Grünen haben bereits am Rücktrittstag von Som­­maruga klargemacht, dass sie für solche rechten Spielchen nicht zur Verfügung stehen: «Es braucht dringend eine Stärkung der ökologischen Kräfte im Bundesrat, aber nicht auf Kosten eines SP-Sitzes.


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1 Kommentar

  1. Stefan Hilbrand

    … und überall wird gerechnet >> RICHTIG RECHNEN.

    Leider bringt die ganze Rechnerei nix, wenn das Resultat bereits zu Beginn feststehen muss, dass nämlich die SP immer (!) zwei Sitze haben muss. Ihre Zahlen:
    FDP+SVP = 2,83, aufgerundet auf 3
    CVP+glp = 1,79, aufgerundet auf 2
    SP+GP = 2,33, abgerundet auf 2, alle zusammen 7 Sitze.

    Traditionelles Rechnen hat zudem den Vorteil, dass neben der formalen auch die inhaltliche Konkordanz stimmt: Alle wesentlichen gesellschaftlichen Strömungen sind im Bundesrat vertreten und das wären mit Grün und glp mehr als 95% der Bevölkerung (heute 75%), aber die SP und FDP müssten halt je einen Sitz räumen.

    Bei Wahlen geht es meist um die Zukunft und aufgrund des Nichtangriffspakt mit der SP haben sich die Grünen für die kommenden 8 (acht!) Jahre aus dem Bundesrat verabschiedet. Denn egal ob Berset ins UVEK oder ins EDA wechselt, er wird nochmals zwei Legislaturperioden anhängen.
    Das muss nicht schlecht sein, denn so kann sie echte Opposition betreiben, leider ohne Einfluss.

    Aber die SP als ’sozial-feministisch-ökologische Kraft‘ zu bezeichnen ist entweder Verblendung oder Etiketten-Schwindel, siehe Leuenberger – Implenia, Kiener – Belarus, Jositsch – Gleichstellung …
    Sommaruga hatte erst kürzlich fast unbeachtet eine Kopfsteuer für die Wirtschaft eingeführt. Quasi den Staubsauger als umgekehrte Giesskanne!
    Cavalli ist nicht mehr dabei, Bruderer wie Metzler in der Wirtschaft und Badran würde auch in der AL gute Figur machen. Die SP ist vielmehr die ‚einzig wahre bürgerliche Kraft im Land‘.

    herzlich

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