Mindestlöhne sind den ideologischen Arbeitgeberverbänden und ihren Frauen und Männern in den Parlamenten ein Dorn im Auge. Sie bekämpfen sie an allen Fronten. Aktuell wieder im Nationalrat.
NÖTLIS STIBITZEN: Mit Dumping-Vorstössen im Parlament versuchen Arbeitgeberverbände und rechte Parteien immer wieder, den Arbeitenden ans Portemonnaie zu gehen. (Foto: Keystone)
Mit 11 : 10 Stimmen hat die nationalrätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-N) am 26. November einer Motion zugestimmt, die demokratisch bestimmte kantonale Mindestlöhne aushebeln will. Sie stammt vom Obwaldner Mitte-Nationalrat Erich Ettlin und trägt den Titel: «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen». Im Sommer hatte ihr der Ständerat bereits zugestimmt.
Der heuchlerische Name des Vorstosses passt zur verdrehten Argumentation. Der Bund soll verhindern, dass kantonale Mindestlöhne über jenen in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen (GAV) liegen. Während des Abstimmungskampfes zur Mindestlohninitiative der Gewerkschaften 2014 argumentierten die rechten Parteien und die Arbeitgeberverbände noch mit dem Argument: «Die Kantone können das jederzeit machen. Es braucht keine nationale Lösung.» Jetzt, wo immerhin die vier Kantone Neuenburg, Genf, Jura und Tessin Mindestlöhne haben, sollen sie übersteuert werden.
Die GLP-Fraktion stimmte als einzige geschlossen für Lohndumping.
IMMER DAS GLEICHE MANÖVER
Wer Mitte-Mann Ettlin zum Vorstoss angestiftet hat, ist nicht ganz klar. Schliesslich rangiert er mit 16 bezahlten Lobby-Ämtern auf Platz 2 der aktuellsten Lobbywatch-Rangliste. Offensichtlich aber scheint das Aushebeln der kantonalen Mindestlöhne für Ettlin zentral zu sein. Denn er übernahm schon früher einen quasi deckungsgleichen Vorstoss seines Urner Parteikollegen Isidor Rausch, der bei den letzten Wahlen nicht mehr antrat. Dieser Vorstoss trug den Titel «Stärkung der Sozialpartnerschaft bei allgemeinverbindlich erklärten Landes-Gesamtarbeitsverträgen». Diesen hatte der Ständerat im Dezember 2019 noch versenkt.
SCHLUPFLÖCHER AUFREISSEN…
Arbeitgeberverbände und rechte Parteien bekämpfen gesetzliche Mindestlöhne an allen Fronten. Auf nationaler Ebene. Auf kantonaler Ebene. Und wenn das Volk eines Kantons sich für Mindestlöhne ausspricht, mit Verzögerung der Umsetzung und später mit juristischen Schritten: Was nicht verhindert werden kann, schieben sie heraus. Und wenn’s mit der Verzögerung nicht weitergeht, setzen sie auf lasche Arbeitsmarktkontrollen und versuchen Schlupflöcher aufzureissen.
Neustes Beispiel: Der Bundesrat wollte das Entsendegesetz so anpassen, dass kantonale Mindestlöhne auch für Lohnabhängige gelten, die von ausländischen Firmen angestellt sind. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch nicht für die Neoliberalen.
So stieg der Ständerat im September 2021 gar nicht auf das Gesetz ein. Weil: Einmischung in kantonale Angelegenheiten. Dabei hatten sich 23 Kantone in der Vernehmlassung für die Revision ausgesprochen. Der Grundsatz «Gleiche Arbeit, gleicher Ort, gleicher Lohn» passt den rechten Ständeherren- und -damen einfach grundsätzlich nicht. Da können sie mal so oder so argumentieren, wie es grad passt.
…UND LOHNSCHUTZ VERHINDERN
Der Nationalrat trat dagegen auf das Entsendegesetz im Dezember 2021 ein. Dank Gewerbeverbandspräsident und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi, der die Mehrheit seiner Fraktion überzeugen konnte, dass durchgesetzter Lohnschutz auch die korrekten Firmen schützt. Aus der FDP-Fraktion kamen 10 Stimmen für den Lohnschutz, 19 dagegen. Und sogar bei der SVP sagten drei Nationalräte Ja. Die einzige Fraktion, die geschlossen und vollständig für Lohndumping stimmte, war die GLP. Auf die rechten Grünen ist eben immer Verlass, wenn es gegen die Rechte der Lohnabhängigen geht. Auf die vernünftigen bürgerlichen Nationalrätinnen und Nationalräte auch. Die Dezember-Mehrheit hielt auch im März und stimmte dem Entsendegesetz zu. Doch die rechte Mehrheit im Ständerat beharrte auf ihrem Nichteintreten und beerdigte den Schutz der kantonalen Mindestlöhne für aus der EU entsandte Lohnabhängige im Juni dieses Jahres.