Deutschland: Proteste gegen explodierende Lebenskosten

Der solidarische Herbst fegt durch die Strassen!

Clemens Studer

Seit Wochen schon demonstrieren in Deutschland Zehntausende gegen die steigenden Lebens­haltungskosten. Im Bündnis «Solida­rischer Herbst» ­zentral sind die Klima­bewegung und die Gewerkschaft Verdi.

ECHTE UMVERTEILUNG JETZT: Für das Bündnis «Solidarischer Herbst» gehen soziale Sircherheit und Klimaschutz Hand in Hand. (Foto: Verdi)

Die Inflation trifft die Lohnabhängigen in den EU-Ländern noch heftiger als jene in der Schweiz. Momentan liegt sie bei über 10 Prozent. ­Ursache für die grosse Differenz zur Schweiz ist in erster Linie der andere Energie-Mix. Auch der starke Franken (der allerdings die Exportindustrie gefährdet) spielt eine dämpfende Rolle, weil importierte Produkte trotz höherer Teuerung in der EU nicht in gleichem Mass aufschlagen in der Schweiz. Doch die Lebenskostenkrise ist in der Schweiz gerade für niedrige und mittlere Einkommen dramatisch. Weil zu den teureren Produkten auch noch die in der Schweiz im Unterschied zur EU mit unsozialen Kopfprämien finanzierten Krankenkassenprämien explodieren.

«Alles ist teurer geworden! Sag mal, wollen die uns für blöd verkaufen?»

VORREITERIN FRANKREICH

Der Europäische Gewerkschaftsbund hat einen Forderungskatalog formuliert. Darin verlangen die europäischen Gewerkschaften vollen Teuerungsausgleich und einen angemessenen Anteil an den Produktivitätsgewinnen der vergangenen Jahre für Lohnabhängige. Mehr Gesamtarbeitsverträge. Höhere Mindestlöhne. Unterstützung für Haushalte mit tiefen Einkommen, ­damit diese ihre Rechnungen bezahlen können. Abschöpfung der Krisengewinne der Konzerne und ein Ende der Nahrungsmittelspekulation. Ein Verbot von Energie­sperren für Haushalte, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

Zur Durchsetzung ihrer Forderungen organisieren die Gewerkschaften in unterschiedlichen Ak­tionsbündnissen nationale Aktionen und Demonstrationen. Eine laufend aktualisierte Übersicht gibt’s hier: rebrand.ly/egb-aktionen. Vorreiterin ist Frankreich (work berichtete hier: rebrand.ly/frankreich-teuerungsprotest). In Deutschland besonders aktiv ist die Gewerkschaft Verdi. Sie spielt eine zentrale Rolle im Bündnis «Solidarischer Herbst». Unter dem Motto «Solidarisch durch die Krise – soziale Sicherheit schaffen, fossile Abhängigkeiten beenden. Echte Umverteilung jetzt!» gingen in Berlin, Hannover, Frankfurt am Main, Dresden, Düsseldorf und Stuttgart bereits Zentausende Menschen auf die Strasse.

«NICHT SPALTEN LASSEN»

Dem Bündnis «Solidarischer Herbst» gehören neben Gewerkschaften auch Organisationen der Zivilgesellschaft und Umweltschutzorganisationen an. Das ist zentral, und bis jetzt funktioniert dieser Schulterschluss der fortschrittlichen Kräfte. Nach den ersten Demonstrationen hielt das Bündnis fest: «Die Demonstrationen zeigen, dass viele Menschen sich in der Krise nicht spalten lassen und sich eine sozial-ökologische Wende wünschen.» Denn die Bekämpfung der verschiedenen Krisen müsse zusammengedacht werden: «Soziale Sicherheit, Demokratie, Natur- und Klimaschutz gehen Hand in Hand.»

KLARE WORTE

Damit wollen die fortschrittlichen Kräfte verhindern, dass die Lebenshaltungskosten-Krise von rechten Kräften missbraucht wird, wie es bereits bei den Protesten gegen die Folgen der Pandemie-Bekämpfung geschehen ist. Bisher mit einigem, wenn auch nicht durchgängigem Erfolg. Gerade im Osten Deutschlands kommt es immer wieder zu Aufmärschen von Rechten. Die sind zwar zahlenmässig bisher eher bescheiden, bekommen medial aber grosse Aufmerksamkeit.

So breit wie das Bündnis aufgestellt ist, so breit ist auch das Spektrum der an den Kundgebungen auftretenden Rednerinnen und Redner. In Berlin und später in den sozialen Medien besonders viel Beifall und Aufmerksamkeit bekam das Verdi-Mitglied Michael Erdmann. Er arbeitet seit über 30 Jahren bei der Berliner Stadtreinigung. Der Müll-Werker wählte deutliche Worte und berlinerte sich in Rage: «Viele Unternehmen fahren seit Corona von Krise zu Krise Sondergewinne ein. Die Rüstungskonzerne machen sich mit dem Krieg die Taschen voll. 2021 hat die Regierung 300 Milliarden mehr eingenommen. Wir haben nichts davon abgekriegt. Alles ist teurer geworden, sag mal, wollen die uns für blöd verkaufen, wie dumm oder arrogant muss die Regierung sein, dass die uns nichts von den Milliarden abgeben?»

Verdi will 10 Prozent höhere Löhne. Die Arbeitgeber stellen sich quer. Erdmann: «Haben die nicht mehr alle Latten im Zaun? Wir haben 10 Prozent Inflation. Da ist die volle Durchsetzung der 10-Prozent-Forderung nicht mehr als eine Nullrunde.»

Erdmanns Rede im Video gibt’s hier: rebrand.ly/erdmann.

Mehr Details zur Entwicklung des Bündnisses «Solidarischer Herbst» aus gewerkschaftlicher Sicht gibt’s hier: rebrand.ly/solidarisch-durch-die-krise.

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