Ratgeber

Stellen Sie Ihre Zukunft auf den Prüfstand!

Martin Jakob

«Gring ache u seckle», kommentierte Sportlerin Anita Weyermann ihren 1500-Meter-Lauf. ­ Das war 1997. Sind Sie damals ins Berufsleben eingestiegen? Dann ist es jetzt Zeit, den Gring zu lupfen und sich einmal umzusehen. Wo stehen Sie in Ihrer Laufbahn? Die Viamia-Standort­bestimmung ist kostenlos – und bringt viel!

HALBZEIT: Mit 40 plus schon die Jahre bis zur Pensionierung zählen – oder doch besser die Laufbahn aktiv gestalten. (Foto: Getty)

Bianca Blaser war seit der Lehre berufstätig: «Ich arbeite gerne und liebe, was ich tue.» Die Innerschweizerin ist gelernte Hotelfachassistentin. Zusätzlich absolvierte sie eine kaufmännische ­Ausbildung und eine Weiterbildung zur Assistentin Geschäftsleitung. Heute arbeitet sie als Leiterin Administration in einem Alterszen­trum. Aus verschiedenen Gründen schaute sie sich vor rund zwei Jahren nach einer neuen Anstellung um – mit 50 Jahren. «Ich schrieb mehrere Bewerbungen und wurde auch zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.» Oft hiess es: «Sie bringen die Voraussetzungen mit, und trotzdem haben wir uns für eine andere Kandidatin entschieden.» Bianca Blaser begann sich zu fragen: «Bin ich zu alt? Bin ich überqualifiziert für das, wonach ich ­suche? Wie und in welchem Job möchte ich den Rest meines ­Arbeitslebens zubringen?» Die Verunsicherung führte Frau Blaser schliesslich zu Viamia.

Stefan Mercoli, ebenfalls Innerschweizer, trieb die Frage um, welche Richtung er seiner Laufbahn für die verbleibenden 20 Berufsjahre geben solle. «Das Alter 45 empfinde ich als Wegmarke, und ich wollte mal genauer hinschauen, wo ich stehe und wie ich meine berufliche Zukunft gestalten will.» Mercoli ist gelernter ­Augenoptiker und Verkaufsfachmann mit eidgenössischem Fachausweis. «Mich hätte nach der Lehre auch ein Bachelor-Studium als Optometrist gereizt, aber das wurde früher nur als Vollzeitstudium angeboten, und als frisch­gebackener Papi konnte ich mir diesen Arbeitsunterbruch damals nicht leisten.» Als Verkaufsmanager eines Grosshändlers für Brillenglas hat Mercoli einen spannenden Job – und doch den Wunsch, noch einmal etwas Neues in Angriff zu nehmen. «Ich bin im Internet auf Viamia gestossen und habe mich gleich angemeldet.»

Mit ihren 45 und 52 Jahren sind Stefan Mercoli und Bianca Blaser im besten Zielalter für ­Viamia – die kostenlose Standortbestimmung, Potentialabklärung und Laufbahnberatung für Erwachsene ab 40 Jahren. Viamia wird vom Bund gefördert und startete 2021 in einigen Kantonen als Pilotprojekt, seit Anfang 2022 sind alle Kantone mit dabei und setzen das gleiche Modell ein.

In der Halbzeit des Berufslebens lohnt sich ein Blick zurück – und vor allem nach vorn.

STÄRKEN BEWUSSTMACHEN

Urs Brütsch, Amtsleiter des Amts für Berufsberatung in Zug, hat den Piloten des nationalen Projekts entwickelt und grenzt das Angebot gegenüber einer klassischen Laufbahnberatung ab: «Die Menschen kommen in eine Laufbahnberatung, wenn sie sich neu orientieren oder sonst verändern wollen. Viamia ist für Personen gedacht, die in ihrem Beruf zufrieden sind und wissen möchten, was es braucht, damit sie als Fachleute auch in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren gefragt und up to date sind. Der erste Schritt besteht deshalb in einer Standortbestimmung. Wo stehe ich heute beruflich? Über welche Ressourcen verfüge ich? Wie sind meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt?»

Ihr Kontakt beim Kanton

Die kostenlose berufliche Standortbestimmung und Laufbahnberatung richtet sich an Menschen über 40 Jahre und steht Angestellten aller Berufe offen. Sie eignet sich also auch für all jene, die eine handwerkliche oder gewerbliche Berufslehre absolviert haben. Via­mia wird durch die Kantone organisiert. Zuständig sind die kantonalen Stellen für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung. Sie finden den Kontakt Ihres Wohnkantons auf viamia.ch.

Gerade Personen, die schon längere Zeit in derselben Firma tätig sind, verfügen oft nicht über eine zuverlässige Einschätzung ihrer Arbeitsmarktfähigkeit – also ihrer Attraktivität für andere Firmen. Besonders, wenn sie nach der Berufslehre keine offiziell anerkannten Di­plome erlangt haben. Ob Verkäufer, Malerin, Bauarbeiter oder Elektrikerin: «Solche Personen haben im Lauf der Zeit vielleicht viele ­informelle Kompetenzen gesammelt», sagt Urs Brütsch, «sie sind sich ihrer aber meist nicht bewusst, und die Kompetenzen sind auch in keinem Arbeitszeugnis festgehalten.»

Das Bewusstmachen und Dokumentieren von Fähigkeiten zählt deshalb zu den häufigen Massnahmen im Lauf der Viamia-Beratung. Standard ist auch die gemeinsame Einschätzung der Aussichten im angestammten Beruf: «Wie entwickelt sich die Branche? Wie einfach kann meine Tätigkeit durch Automaten übernommen werden, und wie bald könnte das der Fall sein?»

Veränderungen im Arbeitsmarkt eröffnen neue Chancen – haben aber auch Risiken.

INDIVIDUELLE BERATUNG

Wer sich zur Viamia-Beratung anmeldet, sendet in der Regel den Lebenslauf ein und füllt einen Online-Fragebogen aus. Darauf folgt das Beratungsgespräch. «In 20 bis 30 Prozent der Fälle endet die Beratung nach der Standortbestimmung», sagt Urs Brütsch. In den restlichen 70 bis 80 Prozent der Fälle folgen weitere ein bis drei Sitzungen. Dabei unterstützt die Via­mia-Beratung zum Beispiel bei der Suche nach der geeigneten Weiterbildung, nach neuen Aufgaben in der eigenen Firma oder in einer neuen Umgebung oder beim Optimieren der Bewerbungsunterlagen.

Stefan Mercoli ist seiner Firma treu geblieben. «Aber ich reduziere mein Pensum auf 80 Prozent und starte im November das Nachdiplomstudium zum Verkaufs- und Marketingleiter.» Bis dieser Entscheid feststand, hat Mercoli mit Viamia gründlich Umschau gehalten: «Ich war offen für vieles: Sozialwesen zum Beispiel, Verkaufspsychologie – und vor ­allem für einen Wechsel in die ­Erwachsenenbildung.» Das dazu nötige Studium wäre für den erfahrenen Berufsmann mangels Bachelor aber zu aufwendig gewesen. «Mit der gewählten Weiterbildung stütze ich meine Kompetenzen branchenübergreifend ab. Ein Tor zu neuen Möglichkeiten – einschliesslich Erwachsenenbildung!»

Bianca Blaser hat vor kurzem ihren Arbeitgeber gewechselt – anderes Alterszentrum, gleiche Funktion. «Viamia hat mir geholfen, mich auf Stellen zu bewerben, bei denen ich nicht immer alle geforderten Ausbildungen vorweisen konnte. Mit meiner Lebenserfahrung und meinem Portfolio konnte ich meinen neuen Arbeitgeber überzeugen. Ich fand heraus, dass mein bisheriger Job zu mir passt und ich nicht meinen Beruf wechseln muss. Mein Ziel ist es, im nächsten Herbst eine Ausbildung im Bereich Führungsmanagement zu absolvieren, um mein Wissen zu vertiefen.» Ihre Bilanz: «Jedem, der sich beruflich in einer Sackgasse befindet oder sich fragt, wohin sein Weg führen soll, kann ich Viamia nur empfehlen.»


Ihre Laufbahn  Weiter mit Movendo

Wo stehe ich? Wohin will ich? Wie sieht mein nächster Job aus, und wie finde ich ihn? Bei Movendo, dem Bildungsinstitut der Gewerkschaften, finden Sie zu diesen Themen auch nächstes Jahr attraktive – und für Gewerkschaftsmitglieder kostenlose – Kursangebote:

DER ARBEITSMARKT, MEIN LEBENSLAUF UND ICH. Der Arbeitsmarkt verändert sich immer schneller, die Anforderungen an die Arbeitnehmenden steigen. Der Kurs befasst sich mit den Berufs­aussichten der Teilnehmenden und mit ihren Bildungsmöglichkeiten. Es entstehen kreative Ideen für die Suche nach einer neuen Stelle. 20. März 2023, Bern.

ZIELORIENTIERT IN DIE ZUKUNFT. Jede Lebens­phase birgt eigene Herausforderungen. Im Mittelpunkt des Kurses steht Ihre aktuelle persönliche Situation. Sie setzen sich mit den ­eigenen Fähigkeiten auseinander und erarbeiten Z­ukunftspläne mit ersten Schritten. 11./12. September 2023, Interlaken.

ÄLTER WERDEN IM BERUF. Berufstätig und um die 50 Jahre alt? Zeit, einmal in ­aller Ruhe übers Älterwerden im Beruf nachzudenken. Die Teilnehmenden ­arbeiten ihre Stärken und Schwächen heraus, überprüfen die Balance von ­Berufs- und Privatleben und planen ­allfällige Ver­änderungen. 26./27. September 2023, Schwarzenberg LU. (Jonas Komposch)

Infos und Anmeldung: movendo.ch

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