Peter Bodenmann, Hotelier und work-Kolumnist:

Was mjk am meisten nervt

work

Peter Bodenmann. (Foto: Daniel Rihs)

Das Gedächtnis ist eine Fälscherwerkstatt. Wir glauben uns zu ­erinnern. Holen die alten, ver­gessen geglaubten Geschichten aus der Vergangenheit herauf. Formen sie interessengesteuert um. Und legen sie wieder ab. In der Regel sollte man nur über Dinge berichten, wenn ­Texte und Bilder verhindern, dass wir alles mehrfach gefälscht haben. Ist nicht immer möglich und vielleicht auch gut so.

Während zwanzig Jahren lebte sie im permanenten Unruhezustand.

Ich glaube mich zu erinnern, wie in einem der fensterlosen Fraktionsbüros der SP im Bundeshaus die beiden WOZ-Redaktorinnen Marie-Josée Kuhn und Lotta Suter André Daguet und mir Löcher in den Bauch fragten. Wir versuchten zu erklären, dass wir trotz dem Marsch durch die Institutionen Linke seien und bleiben würden. Verbal und nonverbal gaben uns die beiden zu verstehen, dass sie uns kein Wort abnahmen. Ich glaube noch heute, mich an ihren von Verachtung geprägten Gesichtsausdruck zu erinnern.

Gefühlte sechs Jahre später holte unter anderen André Daguet ­Marie-Josée Kuhn als Chefredaktorin zum work. Selbst für Helmut Hubacher war work während der letzten zwanzig Jahre die mit Abstand beste Gewerkschaftszeitung. Wichtige Bausteine des work-Konzepts waren:

Baustein 1: Eine Gewerkschaftszeitung ist immer ein Tendenzblatt. Aber ein gutes Tendenzblatt braucht auch eine gewisse Distanz zur eigenen Organisation. Weil nur dies Glaubwürdigkeit schafft. Das war nicht immer einfach. Es hat oft Nerven gekostet. Gerade in den letzten 30 Monaten. Zuerst die Pandemie und jetzt der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Bei vielen Amts- und ­Bedenkenträgern wurden die Zündschnüre kürzer und kürzer. Bei Marie-Josée machte sich ab und zu so etwas wie eine leichte Verzweiflung breit. Aber sie hat es in einer ­Mischung von Chuzpe und Anpassungs­fähigkeit weggesteckt. Eine mehr als reife Leistung.

Baustein 2: work hat immer wieder auf neue Themen gebaut, neue Themen gesetzt. Der Kampf für mehr Rechte der Frauen hat die Schweiz zeitweise stark bewegt. Auch dank work, auch dank Marie-Josée. Die Sache mit dem Stand der Produktivkräfte oder die Welt der Kilowatt und Kilowattstunden war für sie keine Herzens-, sondern eine Verstandesfrage. Ökonomische und ökologische Produktivitätsgewinne braucht es – neben mehr sozialer Gerechtigkeit –, wenn Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen nicht unter die Räder kommen sollen. Punkt.

Baustein 3: Politik, Gewerkschaftspolitik, kann auch unterhaltsam sein. work ist irgendwie aufgeklärter, linker Boulevard. Immer wieder überraschend, immer wieder auch erheiternd. Etwa die Interviews mit Karl Marx, Friedrich Engels, Wladimir Lenin, Rosa Luxemburg & Co. Wissensvermittlung der leichtverständlichen Art.

Je älter man wird, desto schneller rast die Zeit. Marie-Josée Kuhn lebte während zwanzig Jahren in permanentem Unruhezustand. Am meisten nervten sie die Schleimer und die sturen Böcke. Viele – unter ihnen auch ich – fragen sich, wie und wohin sie sich ohne dieses permanente Adrenalin im Blut in den nächsten Jahren bewegt. Warten wir ab und lassen wir uns überraschen.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.