Schwangerschaftsabbruch: Bundestag kippt umstrittenes «Werbeverbot»

Endlich ist Schluss mit dem Maulkorb für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland

Ralph Hug

So absurd kann Geschichte sein: Am selben Tag, als die USA in Sachen Abtreibung um 50 Jahre zurückfielen, machte Deutschland ein Schrittchen vorwärts.

Der Deutsche Bundestag hiess am 24. Juni eine Reform gut, die Ärztinnen und Ärzte nicht länger zu Kriminellen macht. Nämlich jene, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und ihre Patientinnen und Patienten auch darüber informieren wollen. Denn das ist in Deutschland verboten. Europas mächtigstes Land ist in Sachen Abtreibungsgesetze ein Schlusslicht: Gemäss dem berüchtigten Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch ist ein Schwangerschaftsabbruch prinzipiell immer noch eine Straftat. Auch wenn zahlreiche Ausnahmen gelten.

WANN FÄLLT PARAGRAPH 218?

So provozierte auch die Ärztin Kristina Hänel eine Gefängnisstrafe. Jedoch ganz bewusst. Die engagierte Gynäkologin aus dem hessischen Giessen verstiess explizit gegen das Gesetz, weil sie es ändern wollte. Seit fünf Jahren kämpft sie gegen das «Werbeverbot» im Paragraphen 219 a, das Ärztinnen und Ärzten verbietet, über Abtreibung zu informieren. Für Ärztin Hänel ist es ein Menschenrecht, dass ungewollt Schwangere sich frei und uneingeschüchtert über einen Abbruch, über die Methoden und Risiken informieren können. Unter dem Druck von fanatischen Abtreibungsgegnerinnen und «Lebensschützern» ist das längst nicht mehr gewährleistet. Weniger als ein Drittel der Kliniken wagen es heute noch, Abtreibungen vorzunehmen. Im katholischen Bundesland Bayern schon gar nicht. Dort ist in Anlehnung an den Judenmord auch mal vom «Babycaust» die Rede.

Mit der Reform hat Kristina Hänel ihr Ziel erreicht. Träf sagte Bundesjustizminister Buschmann im Bundestag: «Im Internet kann jeder Troll und jeder Verschwörungstheoretiker alles mögliche über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten. Dass wir hochqua­lifizierten Ärztinnen bei Strafe verbieten, dort sachliche Informationen bereitzustellen, ist absurd.» Die Reform sieht auch Massnahmen gegen religiöse Fundis vor, die sich aus Protest vor Praxen und Kliniken aufstellen (sogenannte Gehsteigbelästigung).

Ein Schrittchen vorwärts, das die regierende Koalition von SPD, Grünen und FDP wagte – gegen den Widerstand der CDU, der Kirche und der rechtsextremen AfD. Doch Feministinnen fordern, dass jetzt endlich der Paragraph 218 ganz gestrichen und die Abtreibung legalisiert wird. Gut 50 Jahre nach dem berühmten Protest von 300 Frauen, die auf der Titelseite des Magazins «Stern» bekannten: «Ich habe abgetrieben!» Und so eine breite Debatte über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen auslösten. Ein Recht, das 150 Jahre nach Schaffung des Paragraphen 218 noch immer nicht realisiert ist.

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