Gebrüll, Sexismus und Hygieneprobleme:

Riri-Arbeiterinnen streiken gegen Reissverschluss-Rüpel

Jonas Komposch

Die Reissverschluss-Firma Riri ­produziert für Edel­marken wie Gucci und ­Prada. Gar nicht edel ging es ­dagegen in der Fabrik in Mendrisio TI zu und her. Doch ein Streik half!

WENN’S KLEMMT: Mit­arbeiterinnen des Luxus-Reissverschluss­herstellers Riri erstreikten den 8-Stunden-Tag – und vieles mehr. (Foto: riri.com)

Riri ist nicht nur der Spitzname von Rihanna (34), der reichsten Sängerin der Welt (1,7 Milliarden Dollar Vermögen). Auch das global führende Unternehmen der Reissverschluss-Industrie heisst Riri. Wegen des «Rille-Rippe-Systems», das der St. Galler Reissverschluss-Pionier Martin Winterhalter einst patentieren liess. Doch Popstar und Industriebetrieb verbindet mehr als nur der Name.

Bei der Riri AG schwingen internationale Investmentfonds das Zepter, zurzeit einer aus Paris. Der Geschäftssitz liegt aber nach wie vor in Men­drisio TI, nur fünf Kilometer von der italienischen Grenze entfernt. Auch das Hauptwerk steht dort. Seit 1936 produziert es textile Verschlusssysteme aller Art. Heute empfiehlt sich Riri als Spezialist für «high-end ­luxury fashion», also hochwertige Luxusmode. ­Nobelmarken wie Prada, Luis Vuitton oder Marc ­Jacobs gehören zu den Riri-Kunden. Auch Gucci bestellt die Reissverschlüsse im Südtessin. Und Rihanna? Sie rührt für Gucci fleissig die Werbetrommel – zuletzt hochschwanger an der Mailänder ­Fashion Week, wo sogar ihr Freund ranmusste: US-Rapper Asap Rocky (33jährig, 9 Millionen Dollar schwer). Ihn liess die Pop-Diva mit extragrossem Gucci-Täschli aufmarschieren. Über solches Theater können die Riri-Mitarbeitenden im Tessin bestenfalls lachen. Denn bei ihnen herrscht das pure Gegenteil von Glanz und Gloria. Und deshalb überraschten sie mit einem fulminanten Streik.

«Jetzt gilt endlich auch bei Riri der 8-Stunden-Tag!»

POLIZEI GERUFEN

Alles begann mit der Frühschicht des 4. April: Statt ins Werk zu eilen, versammelten sich rund 100 Arbeiterinnen und einige Arbeiter schon ab 6 Uhr vor dem Firmeneingang. Die Manager waren derart ratlos, dass sie gleich die Polizei bestellten. Doch es nützte nichts. Die Frühschicht streikte weiter und verteidigte ihre Protestversammlung vor dem Werkstor. Unia-Sekretär Vincenzo Cicero hat die Dynamik live miterlebt. Er sagt: «Eigentlich hätte um 14 Uhr die Spätschicht beginnen sollen, doch auch diese Arbeiterinnen und Arbeiter haben sich der Versammlung angeschlossen – und zwar selbständig und schon vor ihrem Schichtbeginn!» So sei die Streikbeteiligung letztlich auf 90 Prozent gestiegen.

Über 200 Produktionsmitarbeitende chrampfen im Werk von Mendrisio. Es sind fast ausschliesslich Grenzgängerinnen aus Italien. Auch ­einige Männer stehen am Fliessband. Doch deren Domäne ist traditionell der Kommandoposten, von wo aus sich die Arbeiterinnen überwachen lassen. 15 Franken und 90 Rappen zahlt Riri den Fabrik­arbeiterinnen pro Stunde. Brutto. Einige erhalten etwas mehr. So sieht es der Betriebs-GAV vor, den Riri mit der christlichen Gewerkschaft OCST abgeschlossen hat. Aber nicht die Tiefstlöhne waren es, die das Fass zum Überlaufen brachten.

NICHTS GING MEHR. Einen Tag lang legten sie den Betrieb des Riri-Hauptwerks in Mendrisio TI lahm. (Foto: riri.com)

FRAUEN IM VISIER

Tessiner Textilindustrielle dürfen von ihren Mit­arbeitenden pro Jahr 18mal Samstagsarbeit ver­langen. So steht es im Branchen-GAV der Tessiner Bekleidungsindustrie. Diesen hat Riri unterschrieben – zusätzlich zum hauseigenen GAV mit der OCST. Aber Riri reichen 18 Samstage offenbar nicht. Dazu sagte eine Arbeiterin dem «Corriere del Ticino»: «Sobald die 18 Wochenenden aufgebraucht sind, müssen wir uns rechtfertigen, wenn wir nicht noch mehr zur Verfügung stehen, und nach drei Absenzen gibt’s ein Mahnschreiben.» Hinzu komme der rüpelhafte Umgangston einiger Vor­gesetzter. Es herrsche «Geschrei und Gebrüll» im Betrieb, und das Arbeitstempo sei «massacrante», also extrem zermürbend.

Ausserdem sei Sexismus ein Problem: «Es gab äusserst unhöfliche Kommentare gegenüber den Frauen.» Unia-Mann Cicero bestätigt: «Vor allem Frauen haben mir von Einschüchterungen und allgemeiner Respektlosigkeit berichtet.» Doch auch in typischen Männer-Abteilungen seien «einige ziemlich ungeheuerliche Fälle» aufgetaucht. Gleichermassen betroffen seien Männer und Frauen von der maroden Fabrikinfrastruktur. Diese habe «mit Standards in unseren Breitengraden wenig ­zu tun». Konkret: «Enge Räume ohne Tageslicht, schlechte Belüftung und üble hygienische Bedingungen.» Diese Probleme konnte der Streik nicht sofort beheben. Durchaus aber andere!

RIRI REAGIERT RASCH

Noch während des Streiks willigte Riri nämlich in Verhandlungen ein. Dies aber erst, als auch seine Sozialpartnerin OCST auf dem Platz war. Bei den Streikenden sorgte das für noch mehr Unmut. Dazu Unia-Mann Cicero: «Ich hatte den Eindruck, dass die Arbeiterinnen die OCST nicht als ihre Verbündete betrachten, sondern als jene der Riri-Leitung.» Trotzdem hätten sie die Kröte geschluckt – mit Gewinn! Bereits um 15 Uhr schlossen die Konfliktparteien eine Vereinbarung ab. Diese sieht eine grossangelegte Untersuchung durch das kantonale Arbeitsinspektorat vor. Der Prozess läuft. ­Bereits abgeschlossen ist die Umwandlung von rund 70 befristeten Verträgen in unbefristete. Dazu Cicero: «Die betroffenen Mitarbeitenden hatten höchst prekäre und befristete Verträge, zum Teil seit mehreren Jahren!» Hier habe das Personalbüro sofort kapiert, dass ihm gröberes Ungemach drohe. Auch die Arbeitszeit hat Riri innert weniger Tage reduziert. Cicero freut’s: «Jetzt gilt endlich auch bei Riri der 8-Stunden-Tag!»

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