Der Niedergang des Saurer-Konzerns trifft Unia-Gewerkschafter Köbi Auer hart, doch:

«I chomm scho z gang»

Ralph Hug

Gewerkschafter Köbi Auer ist der, der beim Spinnmaschinen-Hersteller Saurer das Licht löscht. Doch so bitter das auch ist: einen wie ihn bringt das nicht um.

UNTRÖSTLICH: Niemand kennt den Saurer-Konzern besser als Köbi Auer. Doch nach über 40 Jahren hat der unerschütterliche Büezer jetzt die Kündigung bekommen. (Foto: ZVG)

Bis zuletzt hatte er an eine Lösung geglaubt. Sogar selber an einer mitgearbeitet. Vergeblich. Die Saurer-Manager wollten das konjunkturanfällige Spinnmaschinen-Business los werden. Jetzt ist Logistiker Köbi Auer (61) am Aufräumen. Die Kündigung hatte er schon in der Tasche, als die Anfrage kam, ob er noch ein paar Wochen länger bleiben könne. Einer wie er ist eben unersetzlich. Kennt jeden Winkel, jeden Ablauf, jede Kundin. Nach mehr als vier Jahrzehnten muss er nun Abschied nehmen. Vom Betrieb, dem er sich mit Haut und Haar verschrieben hat, aber auch von Kolleginnen und Kollegen, für die er immer einstand – als Präsident der Personalkommission, als Unia-Gewerkschafter und als Ansprechperson der Chefs. Diese wussten: Wenn sie etwas von der Belegschaft wollten, mussten sie sich mit Auer verständigen. Sonst ging es nicht.

Niemand kennt Saurer besser als Köbi Auer. Weit über vierzig Jahre hat er beim Textilmaschinenhersteller gearbeitet. Als Logistiker, Sicherheitsexperte und Vertreter der Arbeitnehmenden. Er hat mit dem Konzern gelitten, als es ­abwärtsging. Gelitten, als der Frankenschock kam. Und gelitten, als die Geschäftsleitung im vergangenen Dezember das definitive Aus verkündete. Auer wird nie mehr Hochleistungs-Spinnmaschinen aus der Werkhalle in Arbon TG schieben. Das Geschäft geht an den grossen Konkurrenten, die Lässer AG in Diepoldsau SG (work berichtete: rebrand.ly/untroestlich). Der Saurer-Mann ist untröstlich: «Das tut weh.»

«Wer nimmt denn einen mit drei
Herzinfarkten, einem halben Fuss und einer Spenderniere?»

AUF JOBSUCHE

Das Ende der Spinnmaschinen-Produktion trifft Auer im dümmsten Moment. Er ist 61 Jahre alt und muss jetzt noch stempeln gehen. Doch er nimmt es gelassen und sagt: «I chomm scho z gang.» Man glaubt es ihm und spürt doch, wie es ihm das Herz bricht. Saurer ist sein Leben. Gibt es auch ein Leben nach Saurer? Kaum vorstellbar, wohl auch für ihn nur schwerlich. Aufs Schulterklopfen musste er nicht lange warten. Mehrfach hörte er: «Wir melden uns, wenn wir einen Job haben.» Doch einen neuen Job hat er noch nicht. Und er selber zweifelt, ob er noch je einen finden wird: «Wer nimmt denn einen mit drei Herzinfarkten, einem halben Fuss und einer Spenderniere?» Auer hatte gesundheitlich Pech. Er musste sich vor sechs Jahren wegen einer Vergiftung mehrere Zehen amputieren lassen und erst noch eine siebenstündige Nierentransplantation durchstehen.

ARBONER STADT-ORIGINAL

Andere hätten schon lange die Segel gestrichen. Nicht so Köbi Auer. Nichts kann sein Engagement bremsen. Er ist Regionalpräsident der Unia, politisiert als SP-Mann sowohl im Arboner Stadtparlament als auch im Thurgauer Kantonsrat. Dort setzt er sich insbesondere für einen kantonalen Mindestlohn ein. In Arbon ist er stadtbekannt, kennt Krethi und Plethi, ein Unikum, an dem niemand im öffentlichen Leben vorbeikommt. So einer wie er kann nicht untergehen.

Ob Sängerverein oder Kirche – Auer kann es mit allen. Stets hat er ein passendes Bonmot parat. Als das St. Galler Tagblatt in einem Artikel sein Schicksal beschrieb, konterte er trocken: «Man gibt einen Beruf auf, nicht sich selber.» Vor dem Thurgauer Gewerkschaftsbund sagte er kürzlich: «Die Welt braucht Menschen, die an sich glauben, um die Zukunft ändern zu können.» Eine Trennung zwischen Privat und Öffentlich kennt er nicht. Er ist, wie er ist. So schrieb er am 16. Mai, seinem Hochzeitstag: «Es sind nicht die schlechtesten Ehen, wenn ein Blitz mit einem Blitzableiter verheiratet ist.» Typisch Auer. 40 Jahre ist er mit Gattin Andrea verheiratet. Fast so lange wie mit Saurer.

Profilbild mit Friedens­taube: Weltpolitischer Denker

Als Putin am 24. Februar die Ukraine überfiel, postete Köbi Auer auf Facebook ein neues Profil mit einer Friedenstaube vor dem Gesicht. Und schob wenig später die Mahnung nach: «Auch wenn ihr den Krieg gewinnt, habt ihr den Frieden verloren.» Auer ist ein Gewerkschafter, der weltpolitisch denken kann. Aber er war selbstverständlich auch dabei, als eine Projektgruppe für die Bettagsfeier beschloss, die Arbonerinnen und Arboner angesichts des Ukrainekriegs zum Gebet aufzurufen. Für Auer ein überkonfessioneller Appell. Anfang April wünschte er speziell allen Muslimen einen «gesegneten Ramadan». Applaus für den Saurer-Mann, der sich treu bleibt. Auch ohne Saurer.

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