Lohnkontrollen: Seco-Bericht entlarvt Verweigerer-Kantone

Fleissiges Genf, faules Bern

Clemens Studer

Die Einhaltung der flankierenden Massnahmen wurde im vergangenen Jahr wieder besser kontrolliert. Aber noch immer nicht konsequent genug.

ALLES IM LOT? Wer in der Schweiz arbeitet, hat das Recht auf einen orts- und branchenüblichen Lohn. Die Kantone müssten das überwachen. Doch nicht alle nehmen ihre Kontrollpflicht gleich ernst. (Foto: Keystone)

Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit mit der EU (FlaM) sind eine gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte. Sie schützen alle Arbeitnehmenden in der Schweiz vor Lohndumping. Vor allem, wenn ihre Einhaltung überwacht wird. Dafür zuständig sind paritätische Kommissionen in Branchen, in denen ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag gilt. In Branchen ohne GAV sind kantonale tripartite Kommissionen (Gewerkschaften, Arbeitgeber, Verwaltung) verantwortlich. Stellen die Kantone zu tiefe Löhne fest, kommt es zu einem sogenannten Verständigungsverfahren, mit dem die zu tiefen Löhne korrigiert werden. Das heisst, sie werden dann an die orts- und branchenüblichen Löhne angepasst.

Nur wenn kontrolliert wird, fliegen Lohndumper auf.

VERWEIGERER-KANTONE

Im vergangenen Jahr folgte die überwiegende Mehrheit der ausländischen Firmen (sogenannte Entsendefirmen) dieser Aufforderung. Anders sieht es bei den erwischten Schwei­zer Firmen aus: Über 700 bezahlten zu tiefe Löhne. Doch nur rund 300 von ihnen passten die Löhne nach Aufforderung der Kantone auch an. Oder in Prozent: Während bei den Entsendebetrieben 81 Prozent der Verständigungsverfahren erfolgreich verlaufen, sind es bei Schweizer Betrieben lediglich deren 44 Prozent. Bei den Branchen mit einem allgemeinverbindlichen GAV sind die Mindestlöhne klar definiert und müssen nachbezahlt werden, die Verantwortlichen werden gebüsst.

Wo kontrolliert wird, fliegen Verstösse auf. Doch nicht alle Kantone nehmen ihre Aufgabe wirklich ernst. Lobenswert fleissig kontrollieren die Kantone Genf und Tessin, die viele Schweizer Firmen kontrollieren. Weniger um den Lohnschutz kümmern sich dagegen zum Beispiel die Kantone Bern, Freiburg, Wallis und Zug. Hier wird nur gerade ein Prozent der Firmen oder noch weniger auf Lohnverstösse überprüft. Das heisst statistisch: Ein Schweizer Unternehmen wird durch­schnittlich nur rund alle hundert Jahre kontrolliert.

POLITISCH GEWOLLT

Die Flankierenden sind einem Teil der Arbeitgeber schon lange ein Dorn im Auge. Weil sie die Arbeitsbedingungen aller in der Schweiz Arbeitenden schützen und die Firmen nicht nach eigenem Gutdünken wursteln können. Aus demselben Grund haben viele Patrons auch Mühe mit dem Arbeitsgesetz und den Gesamtarbeitsverträgen. Darum reiten sie Angriff um Angriff auf diese. Oder lassen sie reiten. Politisch verbünden sie sich dafür, je nach Dossier, mit der SVP, den Freisinnigen, den Grünliberalen oder mit allen zusammen. Den bisher gröbsten Angriff der letzten Jahre führten sie über das Rahmenabkommen mit der EU. In der von Aussenminister Ignazio Cassis ausgehandelten Form hätte es den Lohnschutz in der Schweiz massiv geschwächt. Die Gewerkschaften mussten das mit energischem Widerstand verhindern.

Auch der neuste Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) belegt, wie wichtig die Kon­trollen sind. Und zeigt auch, dass mehr kontrolliert werden müsste. Denn die Schweiz hat die höchsten Löhne in Europa und gleichzeitig ­einen der offensten Arbeitsmärkte. Darum muss der Grundsatz «Schweizer Löhne für Arbeit in der Schweiz» streng durchgesetzt werden. Denn wenn – was sich verantwortungslose Arbeitgeber und marktradikale Ideologen wünschen – entsendet Arbeitende aus der EU zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen, geraten auch die Löhne der in der Schweiz wohnhaften Arbeitnehmenden unter Druck.

SCHÜTZEN UND AUSBAUEN

Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit haben nach wie vor grössere Lücken. Noch ist erst die Hälfte der Lohnabhängigen durch Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen geschützt. Und noch zu viele Kantone verweigern eine ernsthafte Kontrolltätigkeit und sind gegenüber Lohndumping zu lasch. Mit den sogenannten L-Bewilligungen für Kurzaufenthaltende wird zu viel Schindluder getrieben (nachzulesen hier: rebrand.ly/L-Bewilligung). Diese Lücken müssen geschlossen werden.

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