Abstimmung am 15. Mai: Ein Nein zur Frontex-Vorlage gefährdet nicht die Personenfreizügigkeit.

Noch mehr Millionen für die EU-Grenzschutzagentur?

Clemens Studer

Diese Abstimmung ist die humanitär wichtigste in diesem Jahr: Die EU will ihre Grenzschutzagentur Frontex massiv aufrüsten. Auch die Schweiz müsste noch mehr bezahlen. «Nicht mit uns!», sagen die Gewerkschaften.

GEFÄHRLICHE FLUCHT: Mehr als 44 000 Menschen sind in den letzten 30 Jahren an den EU-Aussengrenzen gestorben. (Foto: Keystone)

Frontex ist die Grenzschutzagentur der Europäischen Union. Sie wurde 2005 gegründet. Seither ist ihr Budget von 6 Millionen Euro um 7000 Prozent gestiegen und soll weiter massiv steigen (siehe Abschnitt: Was plant die EU?).

Hauptsächlich ist die Frontex aktiv bei der Abwehr «irregulär» Geflüchteter. Bei EU-weiten Ausschaffungen. Und bei der Hochrüstung von lokalen Grenzwachtruppen. Dabei beschränkt sich die Frontex unterdessen nicht mehr auf die Schengen-Aussengrenzen, sondern operiert auch in Drittstaaten. Dort nimmt die Frontex auch Menschenrechtsverletzungen billigend in Kauf. So zum Beispiel durch die libysche Küstenwache. Dieser hilft die Frontex, Flüchtlingsboote zurück nach Libyen zu treiben, wo die Geflüchteten unter grauenhaften Umständen (über)leben müssen.

Weil so viel Geld im Spiel ist und so wenig Kontrolle, ist auch die Korruption im Frontex-Geschäft gross. So sieht es jedenfalls die EU-Anti-Korruptionsbehörde Olaf. Sie führt aktuell mehrere Untersuchungen.

Bis 2027 soll die Schweiz ganze 61 Millionen für die Frontex zahlen. Jährlich!

Was plant die EU?
Die Frontex soll zu einem 10’000 Personen starken stehenden Heer ausgebaut werden – ausgerüstet mit eigenen Waffen, eigenen Booten, eigenen Flugzeugen und eigenen Drohnen. Während das Frontex-Budget 2005 noch 6 Millionen Euro betrug, soll es bis 2027 auf 5,6 Milliarden Franken steigen. Wegen der Korruptionsskandale und der aufgeflogenen systematischen Menschenrechtsverletzungen hat das Europäische Parlament derzeit einen Teil des Frontex-Budgets ­gesperrt.

Warum bezahlt die Schweiz mit?
2004 hat die Schweiz das Schengen-Abkommen ratifiziert – seit Dezember 2008 entfallen die Personenkontrollen an den Grenzen zu den anderen Schengen-Ländern. Die Schweiz profitiert als Schengen-Mitglied von den unmenschlichen Frontex-Einsätzen. Denn als Land, das nur auf den Flughäfen Schengen-Aussengrenzen hat, wird sie von der Frontex vor Geflüchteten «mitgeschützt». Das will sie sich – für einmal nicht geizig mit Geld für die EU – auch etwas kosten lassen. Konkret: Bis 2027 sollen jährlich 61 Millionen Franken an die EU für Frontex überwiesen werden. 2021 waren es 24 Millionen Franken.

Was ist das Schengen-Abkommen?
Vereinfacht: Innerhalb der EU und der Schengen-Länder, die nicht EU-Mitglieder sind, gibt es keine systematischen Personenkontrollen an den Grenzen mehr. Dafür werden die Schengen-Aussengrenzen noch schärfer und militarisierter kontrolliert. Europa ist eine Festung. Die Abschottungspolitik der EU kostete seit 1993 über 44 000 Menschenleben.

Fällt die Personenfreizügigkeit?
Das ist eine Behauptung der Frontex-Anhänger. Eine ziemlich leere allerdings. Zwar sind Schengen und die Personenfreizügigkeit eng miteinander verbunden, aber zwei unterschiedliche sogenannte Rechtsakte. Unter anderem darum wirkt keine «Guillotine-Klausel», die besagt, wenn das eine fällt, fällt alles andere automatisch. Das hat unter anderem Rainer J. Schweizer, emeritierter Europarechtsprofessor der Universität St. Gallen, in der NZZ klargestellt. Nachzulesen online unter: rebrand.ly/schweizerfrontex. Ein Nein zu noch mehr Schweizer Frontex-Milliarden für den Frontex-Ausbau ist also nicht automatisch das Ende der Schweizer Schengen-Mitgliedschaft – und auch nicht der Personenfreizügigkeit. Oder, wie es Professor Schweizer sagt: Das Frontex-Referendum «ist kein Spiel mit dem Feuer».

Wer will mehr Frontex-Millionen?
SVP, FDP CVP und die rechten Grünen der GLP. Die Operation Libero, die unterdessen zur faktischen GLP-Vorfeldorganisation geworden ist, kämpft an vorderster Front für die zusätzlichen Frontex-Millionen. Übrigens mit einem besonders zynischen Sujet: einem rettenden Handschlag – wo es doch gerade um das Gegenteil geht: das Zurückstossen von Fliehenden zu Lande und zu Wasser.

Wer ist dagegen?
Die SGB-Gewerkschaften, die fortschrittlichen Parteien, Hilfswerke, religiöse Kreise und unzählige Organisationen der Asylbewegung und der Zivilgesellschaft.

Was geschieht bei einem Ja?
Die Schweiz bezahlt noch mehr Millionen für menschenunwürdige und teilweise tödliche Aktionen an den Schengen-Grenzen.

Was geschieht bei einem Nein?
Eine Untersuchungskommission des EU-Parlaments hat 2021 in einer Anhörung massive Menschenrechtsverstösse durch die Frontex feststellt. Das Parlament hält deshalb einen Teil des Budgets zurück und will klarere Regeln und eine bessere Kontrolle der Frontex-Einsätze. Ein Schweizer Nein zu noch mehr Frontex-Millionen würde diese Position stärken. Und ganz generell klarmachen, dass die Mehrheit in diesem Land nicht bereit ist, mehr zu bezahlen für noch mehr Menschenrechtsverletzungen.

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