Neues Scheidungsurteil des Bundesgerichts:

«Demütigung für die Frauen»

Ralph Hug

Gleichstellung, aber zu Lasten der Frauen: Das Bundesgericht blendet im Scheidungsrecht die unbezahlte Haus- und Erziehungsarbeit der Frauen aus.

VON WEGEN FAIR: Noch immer stemmen vor allem Frauen die unbezahlte Arbeit daheim und stecken dafür im Beruf zurück. Bisher fingen die Unterhaltszahlungen diese Ungleichheit auf. Jetzt nicht mehr. (Foto: ZVG)

Vor wenigen Tagen sorgte ein ­Bundesgerichtsentscheid für Aufsehen. Es ging um einen Scheidungsfall aus Zürich: Ein sehr gut verdienender Ehemann hätte monatlich über zehntausend Franken an den Unterhalt seiner geschiedenen Frau zahlen sollen. Und zwar so lange, bis die gemeinsame Tochter die Oberstufe absolviert hat. Sechs Jahre lang. Der Mann wollte aber nur einen Bruchteil zahlen, weshalb er bis vor Bundesgericht klagte. Rechtlich gesehen ein ganz gewöhnlicher Fall, wie er x-fach und täglich vorkommt – trotz des einkommensbedingt beträchtlichen Unterhaltsbetrags. Das Bundesgericht fand jetzt auch, das sei zu viel, und gab dem Ehemann recht. Begründung: Das Vorhandensein gemeinsamer Kinder allein reiche nicht aus, damit dem betreuenden Elternteil ein gebührender Unterhalt zustehe.

Das ist Juristendeutsch. Und heisst übersetzt: Die Ex-Frau soll arbeiten gehen, wenn sie den gewohnten Lebensstandard behalten will. Ein Unterhaltsanspruch bei einem gemeinsamen Kind soll nicht mehr wie früher gegeben sein. Das jüngste Urteil ist nur eines in einer Reihe von ähnlichen zum Unterhalt. So hob das Bundesgericht die «45er-Regel» auf, indem geschiedene Frauen auch mit 45 Jahren noch erwerbstätig sein sollen. Nach dem Motto: Nach der Scheidung sorgt jede und jeder für sich selbst.

Diesen Fall entschieden fünf ältere, bürgerlich eingestellte Männer.

AUF KOSTEN DER FRAUEN

Das tönt modern, geht aber immer auf Kosten der Frauen. Denn meist sind ja sie es, die das Unterhaltsgeld erhalten. Weil die Hauptlast der Kinderbetreuung während einer Ehe nach wie vor bei ihnen liegt, nach einer Scheidung sowieso. Was für Männer mit durchgehendem Erwerbsarbeitsleben meist problemlos scheint, kann für geschiedene, alleinerziehende Mütter zu prekären Einkommenssituationen führen: Können sie überhaupt wieder einen Job in ihrem Beruf antreten? Wie tief ist dann der Lohn? Ist es überhaupt möglich, sich mit einem Teilzeitjob bei gleichzeitigen Betreuungspflichten über Wasser zu halten? Geschweige denn, den bisherigen Lebensstandard zu halten?

«Nein», sagt Anja Peter dazu. Die ehemalige Unia-Frauensekretärin, jetzt bei der Plattform ­Economiefeministe tätig, ist über solche Urteile des Bundesgerichts entsetzt: «Sie sind eine Demütigung für die Frauen.» Ihre Leistung in der Haus- und Erziehungsarbeit werde einfach ausgeblendet. Die grosse Mehrheit der geschiedenen Mütter sei gar nicht in der Lage, ohne volle Unterhaltszahlungen überhaupt den Lebensunterhalt zu bestreiten. Anja Peter verweist auf neuere Studien der Lebenslauf­forschung. Diese belegen, dass geschiedene Frauen heute über ein tieferes Haushalteinkommen verfügen als noch in den 1990er Jahren. Auch seien die Einkommen von Frauen nach der Scheidung nicht im selben Mass gestiegen, wie die Unterhaltszahlungen abgenommen hätten.

REALITÄT IGNORIERT

Engagierte Feministinnen schütteln zunehmend den Kopf über den Kurs der Bundesrichter. Wenn Unterhaltspflichten immer stärker begrenzt würden, missachte dies die tatsächlichen Lebensrealitäten der Geschlechter und sei frauenfeindlich, so die Kritik. Demgegenüber zeigt Alliance F, der Bund der Frauenorganisationen, Verständnis für den Kurs aus Lausanne, macht aber deutlich: «Wer A sagt, muss auch B sagen.» Es müsse dann auch Lohngleichheit, bessere Renten und eine erschwingliche Kinderbetreuung geben.

Manche Feministinnen sind über den Entscheid aus Lausanne übrigens überhaupt nicht überrascht, denn: Das erwähnte Urteil vom 25. März 2022 (5A_568/2021) stammt von der II. zivilrechtlichen Abteilung. Diesen Fall entschieden fünf Männer, ausser einem alle weit über 50 Jahre alt. Und sämtliche bürgerlich eingestellt (2 SVP, 2 FDP, 1 BDP).

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