Die Schweiz zeigt sich so solidarisch wie noch nie:

Millionen Menschen auf der Flucht

Clemens Studer

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg von Putin treibt Millionen Menschen aus der Ukraine in die Flucht. Die Solidarität mit den ­Fliehenden ist enorm. Auch in der Schweiz.

VERZWEIFELT: Eine Ukrainerin mit ihrem zwei Monate alten Baby an der Grenze zu Polen. (Foto: Keystone)

Sie fliehen vor dem russischen Bombenhagel. Vor Hunger und Kälte. Aus zerstörten Häusern. Westwärts. Die Bilder der Grausamkeiten haben die Weltbevölkerung aufgeschreckt. Die europäische ganz besonders. Die Welle der Solidarität ist beispiellos. Auch in der Schweiz. Historisch höchstens zu vergleichen mit jenen von 1956 (Ungarn) und 1968 (Tschechoslowakei). In den ersten beiden Wochen des russischen Angriffskrieges sind bereits über 3 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Die meisten nach Polen. Das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR rechnet mit bis zu 15 Millionen Flüchtlingen.

Alle Betroffenen mit Schutzstatus S können sofort arbeiten.

DER STATUS S

Zum ersten Mal überhaupt setzt der Bundesrat den Schutzstatus S in Kraft. Er gilt für Menschen mit ukrainischem Pass und für Menschen aus sogenannten Drittstaaten, die in der Ukraine eine gültige Aufenthaltsberechtigung hatten – und die «nicht sicher und auf Dauer in ihr Heimatland zurückkehren können». Der Schutzstatus S bedeutet konkret unter anderem:

  • Betroffene erhalten ohne Durchführung eines ordentlichen Asylverfahrens Schutz in der Schweiz. Sie erhalten den Ausweis S.
  • Der Ausweis S ist auf ein Jahr befristet und verlängerbar. Nach fünf Jahren erhalten Schutzbedürftige eine Aufenthaltsbewilligung B, die bis zur Aufhebung des vorübergehenden Schutzes befristet ist.
  • Der Schutzstatus S gewährt den betroffenen Personen ein Aufenthaltsrecht.
  • Sie können ihre Familienangehörigen nachziehen und haben Anspruch auf Unterbringung, Unterstützung und medizinische Versorgung.
  • Kinder können zur Schule gehen.
  • Die Betroffenen erhalten Sozialhilfe.
  • Sie können ohne Wartefrist eine Erwerbstätigkeit aufnehmen – auch als Selbständig­erwerbende.
  • Mit dem Schutzstatus S können Betroffene ohne Bewilligung ins Ausland reisen und in die Schweiz zurückkehren.

GROSSE HILFSBEREITSCHAFT

Hunderte von Personen haben sich bereit erklärt, Geflüchtete aus der Ukraine bei sich zu Hause aufzunehmen. Der Bund unterstützt das. Und auch in den Städten und Gemeinden ist die Hilfsbereitschaft enorm. Zum Beispiel in der Solothurner Gemeinde Mümliswil-Ramiswil. Der 2000-Seelen-Ort nahm in seinem Schullagerhaus und in einem ehemaligen Kinderheim 80 aus der Ukraine Geflohene auf. Ein Mäzen hatte sie mit einem Charterflug aus dem polnischen Krakau ausgeflogen. Oder zum Beispiel campax.org: Auf der Kampagnenplattform haben innert weniger Tage Private und Organisationen über 40’000 Unterkünfte gemeldet, die für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung gestellt werden können. Weitere Solidaritätsaktionen und wie auch Sie sich beteiligen können: siehe hier.

LICHT UND SCHATTEN

Besonders ins Zeug für die aus der Ukraine Flüchtenden legt sich Justizministerin Karin Keller-Sutter. Bislang war die FDP-Bundesrätin für ihren harten Asylkurs berüchtigt. Jetzt scheint sie angesichts der Lage in der Ukraine umgeschwenkt zu haben. Sie sagt: «Es wird nicht alles perfekt sein, entscheidend ist aber das Ergebnis, dass wir solidarisch sind mit den Menschen aus der Ukraine.»

Auch die Ämter, die in den letzten Jahrzehnten auf Abschrecken getrimmt wurden, müssen jetzt auf Aufnehmen umstellen. Wie verschiedene Medienberichte ­nahelegen, scheint das nicht auf Anhieb überall zu klappen. Im bisherigen Modus verbleiben offensichtlich auch die Grenzwächter, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. Menschen mit dunklerer Hautfarbe wurden demnach von den Beamten harsch angegangen: «Afghan? Out!» Und aus dem Zug abgeführt. Weisse konnten unkontrolliert weiter­fahren. Die Schweiz ist mit dieser Praxis leider nicht alleine. Menschen aus afrikanischen Ländern, die in der ­Ukraine studierten und vor Putins Bomben und Raketen fliehen mussten, berichten von Schikanen an den Schengen-Aussengrenzen und bei Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Gebietes.

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