Der Unia-Kongress tagte im Kongresshaus in Biel

Höchste Zeit für mehr Kündigungsschutz!

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Der dritte Tag des Unia-Kongresses konnte jetzt, nach zwei corona-bedingten digitalen Tagen im letzten Jahr, wieder analog stattfinden. Im Zentrum stand ein neues Initiativ-Projekt.

WIEDER ZUSAMMEN: Nach zwei Corona-Jahren konnten sich die Unia-Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter endlich wieder live treffen und diskutieren. (Fotos: Unia)

Die Schweiz hat eines der laschesten Arbeitsgesetze der zivilisierten Welt. Arbeitgeberverbände und rechte Parteien nennen das «liberal». Und die Handelskammer Deutschland-Schweiz lobt auf ihrer Homepage ebenso dezent wie deutlich, dass «der (schweizerische) Grundsatz der Kündigungsfreiheit aus Arbeitgebersicht vorteilig ist». Im Arbeitsalltag bedeutet das beim Kündigungsschutz konkret: die Arbeitnehmenden sind kaum geschützt. Und selbst wenn ein Gericht eine Kündigung als missbräuchlich bezeichnet, besteht kein Anspruch auf Wiedereinstellung. Und die finanziellen Entschädigungen sind bescheiden. Während für Schwangere zumindest ein minimaler Schutz gilt, sind ältere Arbeitnehmende und gewerkschaftlich engagierte Mitarbeitende den Launen der Arbeitgeber faktisch schutzlos ausgeliefert. Das wollen die Unia-Delegierten jetzt ändern.

Und das kam so: Die Unia-Gremien erarbeiteten vier Positionspapiere, die ebenfalls an diesem 3. Kongresstag behandelt wurden. Es geht um die Themen «Sozialer Ausgleich und soziale Sicherheit», «Mehr Schutz und gleiche Rechte», «Gute Arbeit für ein besseres Leben», «Eine andere Wirtschaft ist möglich und nötig». Und dann, so erklärte es Hans Hartmann vom Unia-Präsidialstab: «Was können wir tun, damit die wichtige Diskussion um Positionen nicht nur auf dem Papier stattfindet, sondern die politische Orientierung der Unia praktisch beeinflusst?»

Das Resultat dieser Überlegungen waren vier thematische Initiativideen auf der Grundlage der Positionspapiere. Konkret:

  • ein Ausbau des gesetzlichen Kündigungsschutzes,
  • die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit,
  • sozial gerechte Finanzierung des ökosozia­len Umbaus,
  • ein Recht auf Arbeit beziehungsweise eine öffentliche «Job-Garantie».

Die Unia wird sich im SGB für eine Initiative einsetzen, die den Kündigungsschutz für alle verbessert.

AUS 4 MACH 1

Weil es ressourcenmässig nicht zu stemmen wäre, einen ganzen Initiativen-Strauss zu lancieren, war es nun an den Kongress-Delegierten zu entscheiden, in welchem Bereich eine konkrete Initiative ausgearbeitet werden soll. Die Region Tessin stellte den Antrag, zwei Themenbereiche zur weiteren Bearbeitung zu bestimmen, was die Mehrheit jedoch ablehnte. In der folgenden Diskussion erhielten vor allem die Themen «Arbeitszeitverkürzung» und «Kündigungsschutz» Unterstützung. Für letzteren kamen hauptsächlich aus der Westschweiz starke Plädoyers. In der folgenden Abstimmungskaskade standen sich zum Schluss die Arbeitszeitverkürzung und der Kündigungsschutz gegenüber. Mit 104 zu 96 Stimmen entschieden sich die Delegierten für das Kündigungsschutz-Projekt.

Nach dem Entscheid des Unia-Kongresses geht es jetzt ans konkrete Initiativ-Handwerk. Die Unia wird sich im Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) in den nächsten Jahren für eine Initiative einsetzen, die den Kündigungsschutz in der Schweiz für alle verbessert. Denn: Ob Lohndumping, fehlende Sicherheit oder Lohnungleichheit: Arbeitnehmende sollen sich bei Problemen an die Gewerkschaft wenden können, ohne Angst haben zu müssen, die Stelle zu verlieren. Besonderen Schutz brauchen neben Personalvertreterinnen und -vertretern auch ­Arbeitnehmende, die leicht aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden können, etwa Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub, ältere Arbeitnehmende oder Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus.

RESOLUTIONEN

Der Kongress verabschiedete zum Schluss sieben Resolutionen mit den Titeln: «Wirksamer Kündigungsschutz»; «Gesundheit ist zentral für die Würde der Arbeitnehmenden»; «Öffentliche Finanzen und Leistungen sichern, Arbeitsplätze schaffen»; «Gesundheitskosten: Haushaltsbudgets in Gefahr»; «Die Arbeitnehmenden nehmen an den GAV-Verhandlungen teil und gehören systematisch unseren Verhandlungsdelegationen an»; «Unser Kampf stärkt unsere GAV – unsere GAV verbessern unsere Arbeitsbedingungen» und die Ukraine-Resolution unter dem Titel «Nie wieder Krieg». Die Ukraine-Resolution gab Anlass zu engagierter Diskussion (siehe Kurzinterviews unten).

Rückblick Unia-Kongress:

Die Resolutionen, Videos und Bilder zum Kongresstag 2022 finden Sie hier: rebrand.ly/kongress-2022


Arbeitszeitverkürzung: Doris Schmidhalter-Näfen* (63) wurde vom Kongress überstimmt: «Kein mutiges Zeichen»

work: Doris Schmidhalter, die Walliser Delegierten und du als ihre Präsidentin votierten für ein Initiativprojekt zum Thema «Arbeitszeitverkürzung». Doch der Kongress entschied anders. Enttäuscht?

Doris Schmidhalter-Näfen. (Foto: ZVG)

Doris Schmidhalter: Ja klar! Der Kongress hat es verpasst, da ein mutiges Zeichen zu setzen. Wir waren ja für das Thema, weil wir überzeugt sind, dass es die grösseren Chancen beim Volk hätte. Denn es betrifft fast alle Menschen ganz direkt. Wir hätten im Abstimmungskampf gut damit mobilisieren können. Und es ist zudem ein ureigenes Gewerkschaftsthema. Erst noch ein zukunftsgerichtetes, breites: Andere zentrale gesellschaftspolitische Themen sind eng verknüpft mit der Arbeitszeit: eine gerechtere Aufteilung der bezahlten Arbeit und der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern zum Beispiel, aber auch der Gesundheitsschutz. Aber okay, ich hoffe jetzt, dass eine andere Gewerkschaft das Thema in den Gewerkschaftsbund einbringen wird.

War der Entscheid pro Arbeitszeitverkürzung bei euch umstritten?
Nein, wir waren uns da ziemlich einig. Auch darüber, dass wir selbst dann Verbesserungen erreichen könnten, wenn wir die Initiative nicht gewinnen würden. So wie das auch bei der Mindestlohninitiative der Fall war. Wir haben sie verloren, aber viele Firmen ­setzten ihre Mindestlöhne trotzdem herauf.

Wie erklärst du dir, dass sich die Mehrheit fürs Thema «Kündigungsschutz» ­entschieden hat?
Es geht den Delegierten nahe. Und es ist ja auch ein wichtiges Thema. Unter den Delegierten gibt es viele Vertrauensleute, die Nachfolgerinnen und Nachfolger in ihren Betrieben suchen und merken müssen, wie schwierig das ist. Weil der Kündigungsschutz für Vertrauensleute und Leute in den Betriebskommissionen in der Schweiz einfach schlecht ist. Mit einem besseren Kündigungsschutz wäre es sicher leichter, Leute zu finden. Aber seien wir ehrlich: will ein Chef jemanden los werden, findet er immer eine Möglichkeit.

* Doris Schmidhalter-Näfen ist Lehrerin, Gewerkschafterin und SP-Grossrätin im Oberwallis. Sie lebt in Ried-Brig.

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Kündigungsschutz: Elisabeth Kuhn* (37) hat im Namen der IG Frauen für einen längeren Kündigungsschutz für Mütter gekämpft – und gewonnen. «Jetzt geht’s vorwärts»

work: Elisabeth Kuhn, Gratulation! Dank euch steht im Positionspapier «Starke Arbeitnehmendenrechte» nun explizit ein längerer Kündigungsschutz für Mütter.

Elisabeth Kuhn. (Foto: ZVG)

Elisabeth Kuhn: Danke! Ich bin sehr zufrieden, dass es beim Kündigungsschutz jetzt vorwärtsgeht. Dass Frauen in der Schweiz nach der Geburt gerade einmal 16 Wochen Kündigungsschutz haben, ist ein schwerer Missstand. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Unia für eine Erweiterung des Kündigungsschutzes auf sechs Monate nach dem Mutterschaftsurlaub einsetzt. Die sechs Monate geben den Frauen die Chance, sich in der neuen Situation mit Job und Kind zurechtzufinden, eine gute Lösung für die Kinderbetreuung zu finden und sich am Arbeitsplatz wieder zu etablieren. Ich
hoffe auch, dass sechs Monate die Hemmschwelle der Arbeitgeber erhöhen, Müttern zu kündigen.

Die IG Frauen forderte auch Reduktion der Arbeitszeit. Da hat sich der Kongress aber sehr klar dagegen ausgesprochen. Enttäuscht?
Eine Arbeitszeitverkürzung wäre schon wichtig, denn wir wollen eine Gesellschaft, die insgesamt weniger Erwerbsarbeit leisten muss, damit alle ihren Teil zur Care-Arbeit beitragen können. Auch die Männer! Nach einer 10-Stunden-Schicht hat nämlich niemand mehr die Energie, die Wäsche zusammenzulegen. Aber gut, wir hoffen jetzt halt sehr, dass das Thema in die GAV-Verhandlungen aufgenommen wird.

Die ersten beiden Kongresstage fanden digital statt – und jetzt sind über
200 Menschen hier. Bist du froh darüber?
Ja, es ist immer wieder beeindruckend zu erleben, wenn viele Menschen am gleichen Strick ziehen. Das zu sehen ist megaschön.

* Elisabeth Kuhn ist bei der IG Frauen aktiv. Sie ist Psychologin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesamt für Statistik.

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Ukraine-Resolution: Nadine Swan* (31) von der IG Jugend zu den Änderungen «Nie mehr Krieg!»

work: Nadine Swan, die IG Jugend hat beim Resolutionsentwurf zum Ukraine-Krieg wesentliche Änderungen beantragt. Warum?

Nadine Swan. (Foto: ZVG)

Nadine Swan: Uns war der vorliegende Entwurf nicht differenziert genug für die komplexe Lage.

Konkret?
Der Krieg in der Ukraine ist die Folge eines langjährigen geopolitischen Konflikts zwischen der Nato und der EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Dem trug der Originalantrag zu wenig Rechnung. Ohne Erwähnung des geschichtlichen Umfeldes und der unterschiedlichen Akteure wird keine Resolution der aktuellen Lage gerecht. Das ändert
an der klaren Verurteilung des Angriffes der russischen ­Oligarchie auf die Ukraine nichts. Im Gegenteil, es macht sie glaubwürdiger: «Nie mehr Krieg!»

Die IG Jugend wehrte sich auch gegen die Forderung nach Übernahme der EU-Sanktionen. Im Unterschied zu den anderen beantragten Punkten wollte die Mehrheit des Kongresses davon nichts wissen.
Wir haben nichts gegen Sanktionen, die sich gegen die Oligarchen aus Putins korruptem Machtzirkel richten. Insbesondere ihre Vermögen, die zu einem grossen Teil in der Schweiz liegen, müssen eingefroren werden. Differenzierter sieht es mit Sanktionen aus, die in erster Linie die russische Zivilbevölkerung treffen. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Opfer eines Krieges die Arbeitenden auf beiden Seiten sind. Ihnen, unseren Kolleginnen und Kollegen, gilt unsere Solidarität. Ihre Interessen müssen immer im Vordergrund stehen. Auch bei Sanktionsbeschlüssen. Unter vielen von der EU beschlossenen Sanktionen leidet aber in erster Linie die arbeitende Bevölkerung Russlands – und nicht die korrupte Oberschicht. Darum sind wir bei allgemeinen Sanktionsforderungen skeptisch.

Der Entwurf der Resolution lag erst am Kongressmorgen vor. Wie hat die IG Jugend ihre Intervention vorbereitet?
Es waren hektische Stunden. Wir mussten schnell reagieren und uns eine Meinung ­bilden. Einerseits lief das über unseren Kongress-Chat. Andererseits war es von Vorteil, dass wir wieder einmal einen Kongress mit physischer Präsenz hatten und wir uns am Delegierten-Tisch besprechen konnten. So lief auch der direkte Austausch mit anderen Delegierten einfacher. Wir hatten nicht viel Zeit und eine sich ständig entwickelnde Lage. Aber das ging denjenigen, die den Originalantrag verfassten, ja auch nicht anders.

* Nadine Swan ist Informatikerin und arbeitet in der Arbeitsintegration. Sie wohnt in Bern.

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Solidarität: Eric Voruz* (76) unterstützt als Mann und Rentner die Anträge der Frauen: «Jung und alt müssen zusammenhalten»

work: Eric Voruz, du hast an diesem Kongress ­mehrere Anträge der IG Frauen wortgewaltig unterstützt. ­Warum?

Eric Voruz. (Foto: ZVG)

Eric Voruz: Weil es wichtig ist! Jung und alt müssen zusammenhalten. Die Rechten wollen uns dauernd auseinanderdividieren. Sie sagen: «Seht nur, den Alten geht’s bestens, und sie sind gerade dran, eure Renten wegzufressen. Für euch wird nichts mehr reichen.» Das ist ein fieses Spiel, und da müssen wir offensiv dagegenhalten.

Es gibt aber auch viele Pensionierte, die denken, sie hätten dies oder das früher nicht gehabt, also sollen es jetzt die Jungen ebenfalls nicht bekommen, oder?
Das ist ein falsches Denken und zudem das Denken der Rechten. Klar, hatten wir früher vieles nicht, aber dann erkämpften wir uns einiges. Und das müssen wir weiterhin tun.

Die Rechten sagen uns auch, es gebe ja die Grosseltern, der Staat solle sich also nicht in die Kinderbetreuung einmischen. Was sagst du dazu?
Es ist zwar wahr, dass die Grosseltern die grösste Kinderkrippe im Land sind. Aber sie ­können auch nicht alles machen. Wir können helfen, aber nicht die Eltern ersetzen. ­Darum braucht es einen guten Elternurlaub, mehr Krippenplätze usw.

Hand aufs Herz, bist du deshalb so engagiert für die Sache der Frau, weil du sonst Ärger daheim bekommst?
Überhaupt nicht, meine Frau ist weniger militant als ich. Deshalb habe ich mal den Fehler gemacht, ihr zu sagen: «So kannst du doch nicht abstimmen!» Uiuiui, das kam gar nicht gut an. Seither darf ich oft nicht mal mehr sehen, wie sie stimmt … (lacht).

* Eric Voruz begann bei der Post, dann wurde er Sekretär der Metallgewerkschaft Smuv und dann der Unia, SP-Grossrat in der Waadt, Stadtpräsident von Morges und schliesslich, von 2007 bis 2015, Nationalrat. Er lebt in Morges.

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