Unia-Bau-Chef Nico Lutz ist alarmiert:

«Baumeister wollen die 50-Stunden-Woche!»

Jonas Komposch

Der alte Bau-Vertrag läuft Ende 2022 aus. Ein neuer muss her. Mit klaren Forderungen sind die ­Gewerkschaften Unia und Syna nun in die Verhandlungen eingestiegen. Im Gegensatz zu den Meistern.

BAU-CHEF NICO LUTZ: «Die Bauarbeiter haben 11-, 12- oder gar 13-Stunden-Tage. Das geht nicht. Sie sehen ihre Familien nicht mehr.» (Foto: Yoshiko Kusano)

work: Nico Lutz, die Gewerkschaften und der Baumeisterverband (SBV) haben sich zur ersten ­Sitzung für die Neuverhandlung des Landesmantelvertrags (LMV) getroffen. Wie war’s?
Nico Lutz: Es war eine etwas seltsame Verhandlungsrunde. Da Direktor Benedikt Koch den Baumeisterverband Ende Mai verlässt, wird künftig der Präsident, Gian-Luca Lardi, die Verhandlungsleitung übernehmen. Er konnte aber am Montag aus terminlichen Gründen nicht dabei sein.

Zudem haben wir unsere For­derungen offen auf den Tisch gelegt. Die Baumeister aber blieben vage. Sie sprachen von Flexibilität, Wettbewerbsfähigkeit und Vereinfachungen im Vertrag. Wir mussten mehrmals nachfragen, um herauszufinden, was ihre konkreten Forderungen sind. Dann verstanden wir: Sie wollen eine Jahresarbeitszeit im Rahmen gesetzlicher Schranken.

Das heisst?
Die Einführung der 50-Stunden-Woche! Geregelte Arbeitszeiten würden wegfallen, und auch bei den Überstunden gäbe es kein Halten mehr. Zudem wollen sie die Löhne und Lohnzuschläge senken. Und Lohnkürzungen für ältere Bauarbeiter haben sie schon früher gefordert. Vermutlich war auch das mitgemeint.

«Es wird nicht einfach, denn die Positionen liegen weit auseinander.»

Genau das Gegenteil fordern die Bauarbeiter …
Klar, wir müssen die übertrieben ­flexiblen Arbeitszeiten und überlangen Arbeitstage wieder unter Kon­trolle bringen. Heute müssen die Bauleute im Sommer regelmässig zehn Stunden oder mehr bei grosser Hitze auf der Baustelle arbeiten. Hinzu kommt die Reisezeit, die nicht zur Arbeitszeit zählt, aber schnell zwei Stunden pro Tag betragen kann. So kommt es zu 11-, 12- oder gar 13-Stunden-Tagen. Das geht nicht. Die Bauarbeiter sehen ihre Familien nicht mehr.

Machen die Büezer da mit?
Manche haben keine Wahl. Doch oft sind es gerade die guten Leute, die sich nach Alternativen umschauen. Schon heute verlässt jeder zweite gelernte Maurer den Beruf, und die Zahl der Lehrlinge ist drastisch gesunken. Das ist sehr schade, denn Bauarbeiter ist ein schöner und erfüllender Beruf. Aber die Arbeitsbedingungen müssen besser werden. Doch weil der Termindruck so brutal geworden ist, können die Bauarbeiter heute kaum mehr ihre Arbeit unterbrechen, wenn Gefahr droht. Im Laufe eines Jahres verunfallt jeder sechste Bauarbeiter. Und die Zahl der schweren Unfälle hat sogar zugenommen. Daher erstaunen auch die Resultate nicht, die unsere Umfrage bei 17 500 Bauarbeitern ergeben hat: Die Hauptforderungen sind kürzere Arbeitstage und mehr Schutz bei Schlechtwetter.

SBV-Sektionen streiten sich, jene aus dem Wallis opponiert gegen die Verbandsspitze. Und diese muss gleich vier Abgänge ­verkraften. Was ist los im Baumeisterverband?
Wir können nur Vermutungen anstellen. Wir nehmen wahr, dass die zunehmend dogmatische Haltung der Verbandsspitze von einem Teil der Baumeister und der Sektionen nicht mitgetragen wird. Das führt zu Problemen im Zusammenhalt des Verbands und macht die Arbeit an dessen Spitze wahrscheinlich schwierig.

«Wir fordern kürzere Arbeitstage und mehr Schlechtwetter-Schutz.»

Fast die Hälfte aller Baufirmen sind ja gar nicht mehr Mitglied im Verband. Ist das für die Gewerkschaften ein Problem?
Wir haben ein Interesse an einem Baumeisterverband, der möglichst viele Baufirmen vertritt. Man kann besser mit einem starken Partner verhandeln. Ein Problem ist, dass ein Teil des SBV in Bezug auf die Gewerkschaften das gerade anders sieht. Sie denken, sie würden an Gewicht gewinnen, wenn sie uns zu schwächen versuchen. Doch das ist gleich doppelt falsch: Erstens haben auch die Baumeister ein Interesse an starken Gewerkschaften als repräsentativen Verhandlungspartnern. Und zweitens bewirkt jede Polemik des Baumeisterverbands gegen uns das exakte Gegenteil: Sie nützt dem Ansehen der Gewerkschaft.

War es auch Polemik, als Baumeisterpräsident Gian-Luca Lardi im Herbst mit dem vertragslosen Zustand drohte?
Möglicherweise hat diese Aussage mehr mit den internen Dynamiken im SBV zu tun. Es gibt sicher Baumeister, die keinen Vertrag wollen. Ich weiss allerdings nicht, ob sie alle Konsequenzen durchüberlegt haben. Ohne Mindeststandards und
einen klaren Rahmen, der für alle gilt, leiden vor allem die seriösen Firmen. Der Wettbewerb läuft nicht mehr über Qualität, sondern über Lohndumping. Viele Baufirmen sehen aber sehr wohl ein, dass der LMV für die gesamte Branche – für Bau­arbeiter und Firmen – sehr wichtig ist. Auch um die Weiterbildung zu finanzieren. Die braucht die Branche dringend, weil akuter Mangel an Fachkräften herrscht.

Ohne LMV entfiele auch die Friedenspflicht. Käme es damit zu einer Streikwelle?
Unser Ziel ist nicht, möglichst viel zu streiken, sondern in harten, aber fairen Verhandlungen Lösungen zu finden. Umgekehrt ist aber auch klar: Eine Gewerkschaft, die nicht streiken kann, ist keine Gewerkschaft. Kurze vertragslose Perioden gab es immer wieder. Etwa zwischen Oktober 2007 und April 2008. Am 1. Oktober traten mehrere Hundert Bauarbeiter auf den Neat-Baustellen in den Streik. Auch Anfang 2012 hatten wir einen vertragslosen Zustand, fanden dann aber eine Lösung vor dem geplanten Streik im Frühling. Jetzt stehen aber bis im November noch sechs Verhandlungsrunden an. Es wird nicht einfach werden. Die Positionen liegen weit auseinander. Die Bauarbeiter erwarten aber klare Verbesserungen. Und sie sind bereit, dafür zu kämpfen.


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