Abstimmung über Stempel-Bschiss:

«Das ist alles nur noch unverschämt!»

Clemens Studer

Margret Kiener Nellen war 16 Jahre SP-Nationalrätin. Im work-Interview sagt ­die Gewerkschafterin und Steuerexpertin, warum ein Nein zur Emissionsabgabe ­so wichtig ist.

EXPERTIN: Margret Kiener Nellen ist eine der besten Kennerinnen der Schweizer Steuerpolitik. Sie war von 2003 bis 2019 Berner SP-Nationalrätin und präsidierte während vier Jahren die Finanzkommission des Nationalrats. (Foto: Keystone)

work: Am 13. Februar stimmen wir über die Abschaffung der Emissionsabgabe ab. Was steckt dahinter?
Margret Kiener Nellen: Die Abschaffung der Emissionsabgabe geht auf eine alte parlamentarische Initiative der FDP zurück, die jahrelang im Parlament zurückgehalten wurde. Sie ist Teil der Stempelsteuer, die ­ab 1917 eingeführt wurde, damit auch das Kapital seinen Anteil an die Finanzierung der ­öffentlichen Aufgaben beisteuert. Bei der Einführung der Mehrwertsteuer 1993 kam es dann zu einem historischen Kompr­omiss zwischen dem Kapital und der Arbeit. Die Linken setzten ein Prozent Mehrwertsteuer zur Finanzierung der AHV und jährlich eine halbe Milliarde Franken für die Verbilligung der Krankenkassenprämien durch. Im Gegenzug verzichteten sie darauf, auch die Finanz­geschäfte der Mehrwertsteuer zu unterstellen. Diesen Kompromiss haben die rechten Parteien jetzt aufgekündigt.

Und warum kommt dieses Steuer­geschenk ausgerechnet mitten in der Bewältigung der Coronakrise vors Volk, wo so viele Lohnabhängige und Selbständigerwerbende den Gürtel ­enger schnallen müssen?
Ich vermute, die rechten Parteien haben vor den letzten Wahlen 2019 – also vor Covid – der Finanzindustrie versprochen, diese Vorlage noch in dieser Legislatur durchzubringen. Für solche Versprechen erhalten sie jeweils Parteispenden von Wirtschafts- und Branchenverbänden für ihre Wahlkampagnen.

Mir wird ganz schlecht, wenn ich zusammenrechne, wie viele Milliarden die Rechten an die Reichen umverteilen.

Die Wirtschaftsverbände bekommen schliesslich auch etwas für ihre Partei­spenden …
… und wie! Es ging in den letzten Jahrzehnten um Hunderte von Milliarden Franken, die sie in Form von Steuergeschenken erhielten. Dieses Geld fehlt dann den Arbeitslosen, IV-Rentnerinnen und Sozialhilfe-­empfängern, deren Leistungen gleichzeitig reduziert wurden. Und es fehlt den Wenig- und Normalverdienenden, die über höhere Gebühren und Abgaben die dringendsten Löcher stopfen müssen.

Steuergeschenke in Milliardenhöhe: Ist das nicht etwas hoch gegriffen?
Ich habe in einem Buch* einmal die Steuergeschenke an Konzerne, Reiche und Superreiche der letzten Zeit zusammengestellt. Anhand von elf Skandalen der rechten Steuerpolitik zeige ich darin, wie sich die Schweiz zum Steuerparadies für Konzerne und Reiche entwickelt hat. Als ich fertig war, wurde mir ganz schlecht ob der Unverschämtheit, mit der die Rechten Milliarden an die Reichen umverteilen. Und weiter umverteilen wollen. Ihr Plan ist klar: Besteuert werden sollen nur noch Löhne, Renten und der Konsum. Das Kapital soll keinen Beitrag mehr an die Ausgaben des Gemeinwesens leisten müssen. Das stand früher schon einmal im SVP-Parteiprogramm und wurde irgendwann wieder rausgestrichen. Jetzt steht es in einem offiziellen Papier des Finanzdepartementes von SVP-Bundesrat Ueli Maurer.

Es ist also mehr als ein Plan?
Ja, diese Strategie verfolgt die bürgerliche Parlamentsmehrheit konsequent. Und sie setzt sie überall dort um, wo sie Gewerkschaften und fortschrittliche Parteien nicht mit einem Referendum stoppen können. Das ist uns zum Glück beim Steuerpaket 2004, der Unternehmenssteuerreform III 2017 und beim Kinderabzug-Bschiss 2020 gelungen. Und das sollte uns auch unbedingt bei der Emissionsabgabe gelingen.

Warum unbedingt?
Weil wir die rechte Salamitaktik beim Steuerabbau für das Kapital, die Grosskonzerne und die reichsten Aktionäre endlich stoppen müssen. Übrigens: 75 Prozent der Milliarden-Aktionärsdividenden fliessen ins Ausland. Bei der Abschaffung der Emissionsabgabe wäre es dasselbe. Rund 200 Millionen der 250 Millionen Steuersubventionen gingen an ­Aktionärinnen und Aktionäre im Ausland.

KOMMT ALS NÄCHSTES: Die Rechten wollen auch die Verrechnungssteuer abschaffen. Linke und Gewerkschaften haben das Referendum ergriffen. Jetzt unterschreiben: steuerkriminalitaet-nein.ch (Foto: SGB)

Was passiert, wenn die Abschaffung der Emissionsabgabe durchkommt?
Die Rechten erhielten Schub, ihr «Alpen-­Monaco» Schweiz für die Reichsten der Welt noch mehr auszubauen. Als nächsten Schritt möchten sie die Verrechnungssteuer kippen und damit ein gigantisches Schlupfloch für Steuerbetrug öffnen. Die beiden verbleibenden Stempelsteuern, also auf dem Handel mit Wertschriften und die Versicherungsabgabe, möchten sie ebenfalls ­total abschaffen und ein Loch von über ­2 Milliarden pro Jahr in die Bundeskasse reissen. Dies, obwohl die Schweiz jetzt schon Tiefststeuern für hohe Einkommen hat.

Und was passiert bei einem Nein?
Die rechten Parteien erhalten einen wichtigen Schuss vor den Bug und müssen weitere Steuerabbauprojekte mindestens bis zu den nächsten Wahlen 2023 schubladisieren. 2023 haben die Stimmberechtigten die Möglichkeit, erstmals eine Rot-Grün-Mehrheit auf Bundesebene zu wählen! Damit endlich mal die Menschen und nicht der Profit des Kapitals ins Zentrum gestellt werden. So, wie es die Bundesverfassung in der Präambel und in Art. 2 verbindlich fordert!

Wagen Sie eine Prognose zum 13. Februar?
Es wird knapp, aber wir können diesen Stempel-Bschiss stoppen. Denn trotz der aus undurchsichtigen Quellen finanzierten Millionenkampagne sehen die Umfragen gut aus. Aber es kommt auf jede Nein-Stimme an.

* Geld arbeitet nicht. Wir schon! ist das Buch zur 99-%-Initiative und thematisiert die ungleiche Besteuerung von Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen. Als PDF ­gratis herunterzuladen auf www.denknetz.ch


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1 Kommentar

  1. Stefan Hilbrand

    Schön, dass sich Kiener Nellen nach 1 1/2 Jahren MiA wieder meldet. Ich würde mich freuen, Sie könnten sie dazu bringen, etwas für Natalia Hersche zu tun. Immerhin eingagiert sie sich im internationalen Vorstand der FriedensFrauenWeltweit, ist Präsidentin des Freundschaftsvereins Schweiz-Belarus und kennt Lukaschenka persönlich.

    Aktuelle Infos:
    https://www.srf.ch/news/schweiz/ch-doppelbuergerin-in-belarus-warum-natalia-hersche-wohl-nicht-bald-freikommen-wird

    freundliche Grüsse
    Stefan Hilbrand

    PS. Das Interview war wohl etwas zu spät. Die Spatzen pfiffen die Niederlage der Steuersparer das schon von den Dächern.

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