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Der Platz der Frau ist oben

Anne-Sophie Zbinden

Der Weg der Berg­steigerinnen auf die ­Gipfel war steil und ­steinig: sie mussten einen Berg von Vor­urteilen überwinden.

PURE FREUDE: Bergsteigerin in den 1980er Jahren. (Foto: Dölf Reist / Alpines Museum der Schweiz)

Das hellblaue T-Shirt sticht sofort ins Auge. Der Aufdruck: ein Berg. Die Aufschrift: «A woman’s place is on top» (Der Platz der Frau ist oben). Das T-Shirt trug einst die Berner Alpinistin Heidi Lüdi, die es auf die Spitzen trieb: Sie gehörte in den 1970er Jahren zu den ersten Frauenseilschaften, die am Himalaya die höchsten Gipfel der Welt bezwangen.

Zu sehen ist das Oberteil in der interaktiven und packenden Ausstellung «Fundbüro Nr. 2: Frauen am Berg» des Alpinen Museums in Bern. Das Schaulager lädt dazu ein, in eleganten Hüten, samtenen Skihosen, Daunenfinken und Tourenbüchern aus über 100 Jahren Berggeschichte herumzustöbern. Anzutreffen sind auch viele Besitzerinnen der Objekte, zumindest per Video. So erzählt Bergsteigerin Lüdi: «Ich habe mit vielen Männern gestritten, die gesagt haben, Frauen hätten im Gebirge nichts verloren. Und viele Männer mussten sich rechtfertigen, wenn sie mit mir unterwegs waren.»

Seit den Anfängen des Bergsports in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Frauen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Frauen am Berg galten als unschicklich, als zu schwach und zu ängstlich. Dabei bewegten sie sich ebenso virtuos wie die Männer über Schnee und Fels. Und nicht minder begeistert. So schrieb Martha M. 1930, dass «Juchzen und Freudenschreie ertönten», als ihre Gruppe nach dem steilen Aufstieg ein Schneefeld erreichte.

«Ab einer gewissen Höhe hat es für Frauen nicht mehr viel Platz.»

REIFROCK UND PINKEL-HOSE

Doch in den historischen Sammlungen sucht man die Spuren von Alpinistinnen fast vergebens. Auf alten Fotos sind zwar Frauen zu sehen, bleiben aber namenlose Begleiterscheinungen. Das Alpine Museum besitzt eine Sammlung von 340 alpinistischen Kleidungsstücken, aber gerade mal 77 davon sind von Frauen.

Dabei widerspiegelt die Kleidung die Geschichte der Frauen am Berg. Über viele Jahre war bereits die Kleidernorm ein Hindernis auf dem Weg zum Gipfel. Die Herausforderung bestand darin, im Reifrock und Strohhütchen auch beim Bergsteigen ganz Dame zu bleiben. Heute boomt die Outdoor-Bekleidung auch für Frauen. Doch ein Problem blieb ungelöst, bis die Alpinistin und Künstlerin Martina-Sofie Wildberger die «P-Pants» erfand, die Pinkel-Hose für Frauen. Im Video erklärt sie: «Wenn eine Frau sagt, sie müsse mal, geht immer ein widerwilliges Raunen durch die Seilschaft.» Das wollte sie ändern und hat die Hose mit durchgehendem Reissverschluss im Schritt erschaffen. Für Wildberger ist klar, bei der Gleichberechtigung hat es im Bergsport noch Luft nach oben: «Es beginnt schon bei der Ankunft in der Hütte. Finken in kleineren Grössen sind Mangelware.» Und ab einer gewissen Höhe habe es in den Bergen nicht mehr viel Platz für Frauen. Deshalb sei es für sie wichtig, auch auf dem Berg feministische Themen zu diskutieren.

REINER MÄNNERCLUB

In der Tat schloss der Schweizer Alpinismus die Frauen jahrelang systematisch aus: 1907 beschloss der Schweizer Alpenclub (SAC), zum reinen Männerclub zu werden. Dar­auf gründete eine Gruppe engagierter Genferinnen 1918 den ersten Schweizer Frauen-Alpen-Club (SFAC). Es dauerte über 60 Jahre, bis die Clubs wieder fusio­nierten. Erst 1986 wurde mit Nicole Niquille die erste Frau Bergführerin. Noch heute stehen aber 1492 Bergführern nur 42 Bergführerinnen gegenüber.

Und wie offen und divers wird der Bergsport in Zukunft sein? Katherine Choong, Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft im Sportklettern, fühlt sich als Frau nicht benachteiligt, nur manchmal etwas zu sehr beachtet. Aber auch ihr ist aufgefallen: «Wenn viele Frauen eine sehr schwierige Route geklettert sind, wird diese oft abgewertet, am Schwierigkeitsgrad gezweifelt.» Und gänzlich neue Wege geht Amaruta Wyssman, deren Kletterfinken im Fundbüro zu sehen sind. Sie ist eine Pionierin unserer Zeit. Seit ihrer Geburt fehlt ihr ein Unterarm. Doch das ist für sie kein Hindernis, als einzige Athletin im nationalen Paraclimbing-Team für die WM 2023 in Bern zu trainieren.

Ausstellung im Alpinen Museum, Fundbüro der Erinnerungen Nr. 2: Frauen am Berg. Bis Oktober 2023. Es können auch weiterhin Fundstücke abgegeben werden.

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