Editorial

Besteuert uns!

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Millionäre, die mehr Steuern zahlen wollen? Und laut schreien: «Tax me now!» Besteuert mich, jetzt! Tja, es gibt eben nichts, was es nicht gibt. Diese Woche haben 102 Millionärinnen und Millionäre einen offenen Brief an alle Teil­nehmenden des Welt-Geldsack-Forums WEF geschickt. Dieses findet auch im Jahr 2 von Corona online statt. Und sie hauen darin mit der Faust auf den digitalen Tisch. Weil sie die Nase voll haben von der tödlichen Ungleichheit. ­Pervers, aber wahr: Die Coronakrise hat die Reichsten dieser Welt noch reicher gemacht. Und die Armen zahl­reicher. So konnten die weltweit 2755 Milliardärinnen und Milliardäre ihr Vermögen seit Beginn der Pandemie stärker vermehren als in den gesamten 14 Jahren zuvor. Der Goldrausch ist beispiellos, wie der Bericht der internationalen Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam zeigt. Und während die fetten Krisengewinnler Corona-Party feiern, fallen immer mehr Arme unter die von der Weltbank definierte Armutsgrenze von 5 Dollar 50 pro Tag. Seit (und mit) Corona 163 Millionen Menschen mehr. Der Skandal zeigt sich auch beim Impfschutz: bisher nur rund neun Prozent der Menschen in einkommensschwachen Ländern Afrikas haben mindestens eine Impfdosis erhalten.

Und wie die Steuerloch-Graber wieder lügelen!

ZWEIMAL WEIHNACHTEN. Die 102 Tax-me-now-Super­reichen fordern, Vermögenssteuern zahlen zu dürfen – und zwar subito! Und sie rechnen (zusammen mit Oxfam) vor: Durch eine Ver­mögenssteuer, die von den Millionären zwei Prozent jährlich fordern würde und von den Milliardärinnen fünf Prozent, kämen weltweit 2,52 Billionen Dollar pro Jahr zusammen. Diese Summe würde reichen, um 2,3 Milliarden Menschen aus der Armut zu befreien, genügend Corona-Impfstoffe für die ganze Weltbevölkerung herzustellen und eine universelle Gesundheits­versorgung und sozialen Schutz für 3,6 Milliarden Menschen in ärmeren Ländern zu gewähr­leisten. Es ginge also!

Doch passiert das Gegenteil: Seit Jahrzehnten geht es mit den Vermögenssteuern nur noch in eine Richtung: nämlich nach unten. Auch in der Schweiz. Kanton um Kanton senkt seine Steuern im grossen Selbst-Kannibalisierungs-Wettbewerb. Und dies ausgerechnet im Land, das weltweit die grösste Millionärsdichte hat. Abgesehen vom Casino-Zwerg Monaco. Doch damit noch lange nicht genug: Am 13. Februar soll für die Aktionärinnen und Konzerne schon wieder Weihnachten sein. Dann stimmen wir über die Abschaffung der Emissionsabgabe ab. Der Auftakt zur Abschaffung aller Abgaben auf Finanztransaktionen. So möchte es die Finanz­industrie. Und so helfen ihre rechten Hände im Bundeshaus. Und wie sie wieder lügelen!

ROTZFRECHE LÜGE. Ein Segen sei die Abschaffung der Emissionsabgabe, behaupten sie. Ein Segen für die rund 599’000 kleinen und mittleren Unternehmen in der Schweiz. Das ist grober Unfug, wie work-Autor Clemens Studer belegt. Und eine rotzfreche Lüge, wie die Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung zeigen. Es sind die Grosskonzerne und Couponschneider, die von einem Ja am 13. Februar profitieren könnten. Zum Beispiel im heute schon zu reichen Zug. Das müssen wir unbedingt verhindern. Denn die rechten Steuerloch-Graber bereiten schon ihren nächsten Coup vor: die Abschaffung der Verrechnungssteuer. Nicht etwa für uns alle. Sondern nur für Anlegerinnen und Anleger. Für uns alle ­wollen sie nur die Renten senken. Unter den 102 Millionärinnen und Millionären, die endlich besteuert werden möchten, sind übrigens keine aus der Schweiz.

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