In Island ist die 4-Tage-Woche auf dem Vormarsch:

Weniger arbeiten zum gleichen Lohn

Ralph Hug

Nach einem erfolgreichen Versuch rückt in Island jetzt die 4-Tage-Woche näher. Und nicht nur dort. Erhält jetzt eine alte Gewerkschaftsforderung neuen Rückenwind?

GEGLÜCKTES EXPERIMENT: Die Verwaltung von Reykjavik reduzierte die Wochenarbeitszeit – ohne Leistungsverluste. (Foto: Getty)

Es war ein «überwältigender Erfolg»: weniger Stress, weniger Gesundheitsprobleme, eine bessere Work-Life-­Balance und erst noch mehr Produktivität. Island erntet für ­seinen jüngsten Modellversuch mit einer verkürzten Arbeitszeit bei gleichem Lohn («Vier-Tage-Woche») glänzende Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Zu schön, um wahr zu sein? work hat genauer hingeschaut.

Der erste Versuch startete 2015 mit 66 Mitarbeitenden der Verwaltung der Hauptstadt Reykjavik. Diese reduzierten ihre wöchentliche Arbeits­zeit von 40 auf bis zu 36 Stunden bei gleichem Lohn. Nach positiven Erfahrungen wurde das Experiment ausgeweitet. Nach vier Jahren waren 2500 Mitarbeitende involviert. 2017 startete ein zweiter Versuch, diesmal in der ­isländischen Staatsverwaltung. Unter den 440 Beteiligten waren Mitarbeitende der Steuerverwaltung sowie der Polizei auf einem Landposten.

Der Versuch setzte kreative Potentiale frei und erhöhte die Produktivität.

EFFIZIENTER ARBEITEN

An den beiden Experimenten waren 1,3 Prozent der insgesamt 196’000 Beschäftigten in Island beteiligt. Nicht sehr viele und ausschliesslich solche aus dem öffentlichen Dienst. Aber die ­Resultate im Evaluationsbericht sind eindeutig: Tatsächlich wurde gemäss den erhobenen Daten dieselbe Arbeit in weniger Stunden bei gleichbleibender Leistung erledigt. Dies war möglich dank neuen Abläufen, kürzeren Sitzungen, besserer Kooperation und unter Einsatz digitaler Hilfsmittel. Auch das Verhalten der Teilnehmenden veränderte sich. «Wir suchten ständig nach Möglichkeiten, flexibler zu werden und unsere Aufgaben besser zu erfüllen», wird eine Teilnehmerin im Auswertungsbericht zitiert. Der Versuch setzte kreative Potentiale frei – und damit auch eine höhere ­Produktivität.

Die bessere Arbeitsorganisation sei der Schlüssel gewesen, lautet ein wichtiges Fazit. So verschwand das Phänomen, dass Stunden im Büro abgesessen wurden, nur um das Zeitsoll zu erfüllen. «Die Befürchtung, es gebe mehr Überstunden, hat sich nicht ­bewahrheitet», heisst es zudem im Bericht. Die Gewerkschaften, insbesondere die isländische Service-public-Gewerkschaft, waren Mitinitiantinnen der Versuche, zusammen mit Gruppierungen aus der Zivilgesellschaft, die sich für kürzere Arbeitszeiten starkmachen. In Island wird traditionell lange gearbeitet: In vielen Bereichen gilt die 44-Stunden-Woche, und die Lebensarbeitszeit liegt mit 47 Jahren an der Spitze aller OECD-Länder (Schweiz: 42,5 Jahre). Ein Grund, weshalb kürzere Arbeitszeiten populär sind und wohl auch weniger Ängste auslösen als anderswo. Die Insel mit ihren lediglich 357 000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist allerdings wegen ihrer ­geringen Grösse und ihrer ökonomischen Struktur eine Besonderheit und somit nur bedingt mit anderen Ländern vergleichbar.

PILOTPROJEKT IN NEUSEELAND

Offen bleibt die Frage, ob eine stark verkürzte Arbeitszeit in der Privatwirtschaft ebenso machbar ist wie in der Verwaltung. Der Versuch zeitigt aber Folgen: Die Gewerkschaften konnten in neuen Gesamtarbeitsverträgen bereits eine 36-Stunden-Woche durchsetzen. Über 85 Prozent der isländischen Arbeitnehmenden profitieren heute von kürzeren Arbeitszeiten. Die 4-Tage-Woche, wie in den Schlagzeilen erwähnt, ist jedoch auch in Island noch nicht erreicht. Sie bleibt eine Zielvorstellung.

Das isländische Experiment ist weltweit gesehen nur eines unter mehreren. So läuft in Neuseeland beim ­Lebensmittelkonzern Unilever ein ähnlicher Versuch: 81 Mitarbeitende arbeiten vier statt fünf Tage bei gleichem Lohn. Die Regierung unter Chefin Jacinda Ardern unterstützt den Test, der noch bis Ende 2021 dauert. Zudem plant Schottland ein Pilotprojekt, Details stehen noch nicht fest. Das Ziel ist aber auch hier eine Erhöhung der Produktivität.

1 Kommentar

  1. Peter Bitterli

    Und was machen die an den anderen drei Tagen? Ach so, arbeiten wahrscheinlich. Als Beamte arbeiten sie je jetzt an vier Tagen nichts.

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