Bundesrat hat entschieden, (noch) nicht zu entscheiden:

Zertifikat: Zig-zag oder zack?

Clemens Studer

Trotz grosser Zustimmung zur ­erweiterten Zertifikatspflicht ­verschiebt der Bundes­rat die Entscheidung darüber. ­Immerhin könnte die Regierung jetzt rasch handeln, wenn das Hoffen nicht mehr hilft.

PRINZIP HOFFNUNG: Der Bundesrat verschiebt den Entscheid über die Zertifikatspflicht zur Corona-Eindämmung. (Fotos: Getty/Keystone; Illustration: TNT Graphics)

Am 1. September (Redaktionsschluss dieser Ausgabe) vermeldet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) für den Vortag 3202 neue Coronafälle. Von 33’325 Tests waren 9,6 Prozent positiv. 84 Personen wurden mit Corona-Diagnose ins Spital eingeliefert. Es gab drei neue Todesfälle.

Am gleichen Tag traf sich der Bundesrat zu seiner wöchentlichen Sitzung. Auf der Traktandenliste stand auch das Ergebnis der Konsultation, in die der Bundesrat eine Woche zuvor die Ausweitung der Zertifikationspflicht geschickt hatte. Ergebnis: Kantone, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unterstützen mehrheitlich und grundsätzlich eine Ausweitung der Zertifikatspflicht, um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Doch der Bundesrat entschied, sich (vorerst) nicht zu entscheiden. So bleibt die Überprüfung von Zerti­fikaten zum Beispiel in den Innenräumen von Gastrobetrieben, Kultur- und Sportveranstaltungen in Innenräumen und in den Innenbereichen von Museen, Zoos, Fitnesscentern freiwillig. Generell ablehnend äusserten sich die SVP und der Wirteverband Gastrosuisse. Bei letzterem sind viele Mitglieder weiter als ihre Funktionäre und be­dienen ausschliesslich Geimpfte, Genesene und Getestete. In der Gewerkschaftsbewegung umstritten ist der Zertifikatseinsatz in der Arbeitswelt.

Der Bundesrat setzt auf das Prinzip Hoffnung.

KANTONE BLOCKIERT

Mit seinem Nicht-Entscheid blockiert der Bund auch jene Kantone, die selbständig die Zertifikatspflicht erweitern möchten, etwa weil sich die Lage in ihren Spitälern zuspitzt. Bei Redaktionsschluss waren die Schweizer Intensivstationen durchschnittlich zu 77,6 Prozent ausgelastet. 31,1 Prozent davon durch Covid-Patientinnen und -Patienten. Die absolute Mehrheit davon jüngere Nichtgeimpfte. Vollständig belegt waren die Intensivstationen in den Kantonen Schaffhausen, Nidwalden und Glarus. Zwischen 80 und 90 Prozent ausgelastet sind sie in den Kantonen Aargau (81,2 %), Basel-Stadt (91,3 %), Solothurn (88,2 %), St. Gallen (86,7 %), Thurgau (89,7 %), Wallis (90,5 %), Zug (87,5 %) und Zürich (87,2 %).

HOFFEN ODER HANDELN?

Der Bundesrat begründet sein Zögern mit der «abgeschwächten Dynamik der Pandemie in den letzten Tagen». Und mit der wieder gestiegenen Impfbereitschaft. Beides ist hochgegriffen. Die Zahlen stabilisieren sich seit ein paar Tagen auf hohem Niveau. Aber die Schweiz ist mit 52 Prozent Vollgeimpften immer noch westeuro­päisches Schlusslicht. Bis eine Impfung vollständig wirkt, geht es rund vier Wochen. Die Auswirkungen der Corona-Ansteckungszahlen auf die Belegung der Spitäler sind nach zwei bis drei Wochen sichtbar. Der Bundesrat setzt auf das Prinzip Hoffnung. Aber er kann nach der durchgeführten Konsultation immerhin umgehend handeln, wenn Hoffen nicht mehr hilft.


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