mRNA-Impfstoff-Pionier Steve Pascolo ist überzeugt:
«Diese Technologie ist eine medizinische Revolution!»

Seit zwanzig Jahren erforscht er Impfstoffe und mRNA-­Therapien gegen Krebs: Steve Pascolo, Molekularbiologe und Mitbegründer des Bio-Pharma-Unternehmens Curevac. Jetzt arbeitet er an der Uni Zürich und fordert einen mRNA-Hub für die Schweiz.

FORSCHER PASCOLO: «Im neuen mRNA-Impfstoff hat es nicht mehr Chemie als in einem Süssgetränk, und viele Leute trinken dieses ohne Bedenken.» (Foto: Keystone)

work: Steve Pascolo, Sie haben die mRNA-Technologie mitentwickelt, auf der die beiden hochwirksamen Corona-Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna basieren. Jetzt setzt sich diese weltweit durch. Haben Sie das in diesem Tempo erwartet?
Pascolo: Ich habe immer daran geglaubt, dass wir mit der mRNA-Technologie sehr viel bewirken können. Seit 1998 befasse ich mich als Forscher damit. Die Technologie ist aber schon länger bekannt.

Nämlich?
1993 hat der französische Forscher ­Pierre Meulien einen Impfstoff gegen die Grippe auf der Basis der mRNA-Technologie entwickelt und darüber als erster geschrieben. Er hat dann aber das Projekt nicht mehr weiterverfolgt.

Sie sagen, mit der mRNA-Technologie könne man nicht nur Viren bekämpfen, sondern fast alles heilen, auch moderne Zivilisa­tionskrankheiten wie Krebs oder Alzheimer. Woher kommt dieser Optimismus?
Diese Technologie ist eine medizinische Revolution! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis neue Therapien entwickelt sind und angewendet werden können. Klinische Studien brauchen Zeit und Geduld. Aber die Grundlagen sind da. Was wir benötigen, sind ständige Optimierungen bei stark individualisierten Anwendungen.

Es ist höchste Zeit, dass der Bund in die mRNA-Forschung einsteigt!

Was ist Ihr persönlicher ­Forschungsbeitrag?
Ich habe meine Doktorarbeit am Pasteur-Institut in Paris über Impfstoffe gemacht. Um diese verbessern zu können, habe ich mit transgenen Mäusen experimentiert. Sie sind näher am Menschen als die herkömm­lichen Mäuse und kommen heute überall auf der Welt zum Einsatz. Dann habe ich mich auf mRNA-Therapien gegen Krebs konzentriert.

Schliesslich landeten Sie in Tübingen und haben dort die Biotechnologiefirma Curevac mitgegründet. Diese forscht auch an Corona-Impfstoffen. Schon damals hatten Sie die Nase ganz vorne, warum gingen Sie weg?
Vor zwanzig Jahren war noch wenig von einer Corona-Pandemie die Rede. Dennoch haben wir die Grundlagen zur Bekämpfung solcher Viren wesentlich verbessert und dazu beigetragen, dass der schnelle Erfolg bei den Impfstoffen heute möglich wurde. Ich wollte mich aber nicht nur mit Businessplänen herumschlagen. Deshalb habe ich die Firma verlassen, um wieder akademisch forschen zu können.

Sie arbeiten jetzt an der Uni­versität Zürich. Was machen Sie dort genau?
Ich arbeite an der Zürcher Universitätsklinik am Dermatologischen In­stitut und entwickle spezialisierte mRNA-Impfstoffe. Auch bin ich an einem von der EU initiierten und von der Firma Biontech koordinierten Projekt namens Merit beteiligt. Wir entwickeln personalisierte mRNA-Impfstoffe gegen Brustkrebs.

Also Impfstoffe, die genau auf ­einzelne Personen abgestimmt sind, da jeder Krebs in jedem ­Menschen immer wieder ­anders ist. Konnten Sie als mRNA-­Koryphäe immer auf Forschungs­gelder zählen?
Leider nicht. Gelder für die mRNA-Forschung waren bisher kaum erhältlich. Das Interesse fehlte. Das hat sich mit der Covid-Pandemie natürlich geändert. Um eine akademische Plattform für die hiesige mRNA-Forschung zu realisieren, war ich auf 70’000 Franken angewiesen, die mir seit 2017 im Rahmen eines Krebsforschungsprojekts über Dritte zugänglich waren.

Jetzt aber werden Sie sicher mit Job-Angeboten nur so überhäuft?
Ich erhielt Offerten aus Asien. Aber sehen Sie: Das Problem liegt eben nicht nur beim Geld. An vielen Orten sind Milliarden vorhanden, doch es fehlen die Spezialistinnen und Spe­zialisten. Ohne diese Leute können Sie nicht viel machen. Viel wichtiger ist, dass Sie ein Netzwerk von guten Fachleuten haben. Bei Curevac hatten wir bis 2005 gute Leute, aber kein Geld. Andere haben jetzt Geld, aber keine Top-Fachleute. Bei den Pharmafirmen Biontech oder Moderna ist beides vorhanden. Ein Grund für den Durchbruch dieser Firmen.

Jetzt will auch der Bund mit 50 Millionen Franken in die mRNA-Forschung einsteigen. Ist das eine gute Idee?
Es ist höchste Zeit! Gross ist dieser Betrag nicht, etwa im Vergleich zu den Milliarden, welche die USA aufwenden. Aber wie gesagt: Es kommt weniger aufs Geld als aufs Know-how an. Und da stehen wir in der Schweiz gut da. Ich bin sehr dafür, dass wir hierzulande einen mRNA-Hub aufbauen. Diesbezügliche Gespräche laufen auch.

Wie müssen wir uns einen ­solchen Hub vorstellen?
Es braucht einen Ort, wo Forschung und Herstellung in einem Reinraum betrieben werden können. Dann braucht es ein Netzwerk von Unikliniken für die Durchführung entsprechender Studien. Unispitäler ­haben ein Interesse daran, neue Therapien anbieten zu können, wenn bisherige an Grenzen stossen.

Der mRNA-Impfstoff ist sozusagen vegan.

Eigentlich verrückt, dass er­fahrene Forscher wie Sie darum kämpfen müssen, nur schon eine Einrichtung zu erhalten, wo sie ihre Forschungen tätigen können!
Das Problem in der akademischen Forschung ist, dass man nur immer kurzfristige Verträge von ein bis zwei Jahren oder begrenzte Projekte erhält. Dann müssen Sie wieder weiterschauen. Das ergibt keine Stabilität. Wer über 30 ist und eine Familie gründen will, wandert deshalb schnell in die Pharmaindustrie ab, wo man einen gutbezahlten Job erhält. Hätten Forschende mehr Sicherheit, wäre es anders. Wir brauchen bessere Arbeitsverträge für mRNA-Forschende in diesem Land!

Dabei war die Schweiz mit dem Schweizerischen ­Impfinstitut und der späteren Berna Biotech einmal eine globale Spitzen­reiterin in der Impfstoff­forschung …
… leider gibt es Berna nicht mehr! Aber das waren auch ganz andere Zeiten. Ein virusbasierter Impfstoff benötigt etwa 6000 Liter Zellkulturen, um eine Million Impfstoffdosen herzustellen. Heute kann eine Million mRNA-Impfstoffdosen in 6 Litern produziert werden. Biontech und Moderna haben jetzt mRNA-Fabriken, die Milliarden von Impfstoffdosen produzieren können.

Das ist verrückt!
Eben: eine medizinische Revolution!

Etliche Leute sind allerdings ­gegenüber dem Impfen skeptisch, weil sie finden, im Impfstoff habe es zu viel Chemie drin. Stimmt das eigentlich?
Im neuen mRNA-Impfstoff hat es nicht mehr Chemie als in einem Süssgetränk, und viele Leute trinken dieses ohne Bedenken. Die ­alten Impfstoffe enthalten auch Chemikalien, zum Beispiel Konservierungsmittel. Für den Grippe­impfstoff braucht es zusätzlich Hühnereier von Millionen von Hühnern. Das ist beim mRNA-Covid-Impfstoff anders, er verbraucht keine Eier. Er ist sozusagen vegan.

Mister mRNA

Steve Pascolo (50) ist Molekular­biologe und eine Koryphäe für die ­mRNA-Technologie (siehe Artikel unten). Auf dieser Grundlage werden die Covid-Impfstoffe hergestellt. ­Pascolo ist nördlich von Paris in ­einem Arbeiterhaushalt aufgewachsen. Sein Vater war in einer Holz- und ­später in einer Luftfilterfabrik ­tätig. Pascolo forscht heute an der Universitätsklinik in Zürich. Er leitet dort eine mRNA-Plattform für die Krebsforschung.


Das ist mRNAWettlauf gegen den Krebs

SO FUNKTIONIERT ES: Die Körperzellen nehmen die mRNA auf, lesen den Bauplan ab und produzieren das Spike-Protein. (Grafik: Anne Seeger, Scat (CC by 4.0))

Beim herkömmlichen Impfen wird ein Erreger gespritzt. Unser Immunsystem antwortet darauf, es produziert Abwehrstoffe. Bei der neuen Technologie «Messenger RNA» (mRNA) ist das anders. Hier werden Teile des Gen-Codes von Erregern kopiert. Im Körper codieren diese dann ein Eiweiss. Das Immunsystem baut so den Schutz vor dem Eindringling selber auf. Der Vorteil: mRNA kann nicht nur gegen Viren eingesetzt werden. Sondern auch gegen Krebs oder genetische Krankheiten. Molekularbiologe Steve Pascolo sagt: «Das Anwendungsgebiet ist gross.»

SUPERPROFITE WINKEN. Die mRNA-Technologie ist auch die Basis der ­beiden Impfstoffe gegen Covid-19 von Pfizer/Biontech und Moderna. Dass innert nur eines Jahres solche Impfstoffe in Milliardendosen produziert werden konnten, ist dieser Technologie geschuldet. Die Produktion ist einfach, grosse Mengen sind möglich. Biotechfirmen wie Moderna oder Biontech, die vorher kaum jemand kannte, steigen plötzlich zu Milliardenunternehmen auf. Inzwischen ist ein globaler Wettlauf um mRNA-Vakzine entbrannt. Investoren hoffen auf das ganz grosse Ding. Alle wollen dabei sein, wenn bei weltweit verbreiteten Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer ein Durchbruch gelingt. Es winken Superprofite.

Das Immunsystem baut den Schutz vor dem Eindringling selber auf.

ROCHE & CO. HABEN VERSAGT. Doch das ist nicht so einfach. Denn jeder Krebs ist wieder anders. Es braucht zu seiner Bekämpfung eine personalisierte, individuelle Abwehr, will sie wirksam sein. Daher gibt es auch jetzt noch kein Wundermittel gegen Krebs. Spezialisten wie Professor Thomas Cerny, Präsident der Krebsforschung Schweiz, dämpfen die Erwartungen. Sie weisen auf den hohen Forschungsbedarf hin. Umso wichtiger wird Forschungsförderung. Laut Gesundheitsminister Alain Berset will der Bund 50 Millionen Franken für die mRNA-Förderung aufwerfen. Forscher wie Pascolo fordern schon lange mehr Einsatz und Geld für die Entwicklung eigener Impfstoffe.

Das wäre eine längst nötige Abkehr vom Irrglauben, die Pharmaindustrie mache das schon selbst, sie kümmere sich ja ums Wohl der Allgemeinheit. Die Pandemie hat das Versagen von Roche, Novartis & Co. bei den Impfstoffen drastisch vor Augen geführt. Jetzt muss der Staat die Zügel wieder selber in die Hand nehmen.

1 Kommentar

  1. SOTIRIS ZOIS 3. Juli 2021 um 17:18 Uhr

    Meine Frage ist: was für Stoffe beinhaltet genau die mRNA Impfung gegen Vivid-19?
    Welche sind die Nebenwirkungen und wie lange dauert der Schutz?
    Danke

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