14. Juni: Keine Ruhe dem Patriarchat – das war der feministische Streiktag

«Ufe mit de Fraue­löhn, abe mit de Boni!»

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Tri tra trullala, der Frauenstreik ist wieder da! Und wie! Laut, lustvoll und voller Tatendrang ist der feministische Streiktag 2021! In der ganzen Schweiz gingen mindestens 100’000 Frauen und solidarische Männer auf die Strasse, um für Respekt, mehr Lohn und mehr Rente aufzustehen. work war dabei.

LILA WELLE: So wie in Zürich gingen am feministischen Streiktag landesweit Tausende auf die ­Strasse. (Fotos: Unia/Keystone)

Bern, Nachmittag: Altersheim Tilia in Wittigkofen bei Bern. Ein Team der Unia Bern verteilt in der Mittagspause den Mitarbeitenden Muffins und Info-Flyer, um auf die Demo vom Abend aufmerksam zu machen. Die Aktivierungstherapeutin Elisabeth H. ist sofort dabei. Um endlich, endlich gleichen Lohn für Frauen und Männer einzufordern. «Unsäglich, dass das immer noch ein Thema sein muss», sagt die 58jährige, die schon am ersten Frauenstreik 1991 dabei war. «Stattdessen sollen jetzt die Frauen länger arbeiten mit der AHV-Reform! Hallo?»

«Ich mache die gleiche Arbeit wie mein Mann, doch ich verdiene weniger, das kann doch nicht sein!»

Bern, Abend: Da gehen sie, Frau neben Frau, verbunden mit lila Tüchern. Sie gehen, weil es mit der Gleichstellung nicht vorwärtsgeht. Wer über die Strasse will, muss warten: keine Chance, die Frauenkette zu durchbrechen. Sie reicht vom Waisenhausplatz bis zur Kornhausbrücke und wieder zurück – fast 1000 Meter Frauenforderungen. Auch Leila ist dabei, im lila Look. Sie sagt: «Es muss endlich Schluss sein mit sexualisierter Gewalt.»

Später, auf dem Bundesplatz, werden es an die 30’000 Demonstrierende sein: denn ein lauter, lila Demozug stösst dazu. Pflegerin Alicia ist mit Mann Hans-Peter und Baby Laurin da. Sie sagt: «Ich mache genau die gleiche Arbeit wie mein Mann, doch ich verdiene weniger, das kann doch nicht sein!» Sagt’s und stösst den lila dekorierten Kinderwagen weiter durch die Menge.

Luzern: Die Sonne brennt, das Thermometer steigt, Luzerns Streikfreudige sitzen in Grüppchen im Schatten, lauschen den «Lauter Luisen» auf der Hauptbühne oder spazieren von Streikstand zu Streikstand. Die Unia-Frauen in leuchtendem Pink, Pflegerin Tanja Wolleb (44) in Blau. Ihr Arbeitstenue, in dem sie später auch an die Demo geht, denn in ihr brodelt’s: «Unsere Arbeitsbedingungen haben sich nach Corona überhaupt nicht verbessert. Bei der zweiten Welle wurde nicht einmal mehr über uns berichtet! Obwohl die uns noch schlimmer getroffen hat, als die erste.» Personalaufstockung? Fehlanzeige! Für Wolleb, die auch Vizepräsidentin des Vereins Pflegedurchbruch ist, ist deshalb klar: Was es braucht, ist ein Pflegestreik.

«Haben Sie schon einmal an der Kasse mit Klatschen bezahlt?»

St. Gallen: Am Vadian-Denkmal hängt ein lila Frauenzeichen. Rund 300 Frauen gehen durch die Marktgasse. Laut tönen die «Viva la vulva!»-Rufe, und auch das bekannte «Ufe mit de Frauelöhn, abe mit de Boni!» erfüllt die Altstadt. Die Rednerinnen, allesamt unter 30, sprechen über Ungleichheit, Tieflöhne und männliche Anmache. Viel Applaus erntet der Ausruf «Die Scham ist vorbei!». Die Slammerin Mia Ackermann berichtet in atemlosen Reimen über ihre «I don’t care»-Arbeit, und die Pflegefachfrau Jasmina Wehrli geht hart ins Gericht mit der Politik, die trotz Applaus und vielen Versprechungen für eine Besserstellung untätig geblieben sei. Ihre sarkastische Bemerkung dazu trifft ins Schwarze: «Haben Sie schon einmal an der Kasse mit Klatschen bezahlt?»

Thun: Konfetti wirbeln durch die Luft. Und lila Kartonstücke. Immer wieder hauen die Frauen drauf: Einmal, zweimal, bis von der Ungleichheits-Piñata kein einziger Buchstabe mehr hängt. Diskriminierung bekämpfen? Die Berner Oberländerinnen zeigen’s: Das kann auch Spass machen. «Wir haben noch viel zu tun», sagt Unia-Mitglied Fabienne Biedermann (30) in die gemütliche Runde, die sich im Unia-Innenhof zum feministischen Grillieren versammelt hat. «Aber jetzt lehnen wir uns einfach einmal zurück und stossen an.» Die Bierflaschen klirren, die Bratwürste brutzeln. Und als die pinkigen Ballone in den Abendhimmel entschweben, Nenas Ohrwurm «99 Luftballons» aus den Lautsprechern tönt und die Müdigkeit langsam überhandnimmt, ist dieser unvergessliche Streiktag besiegelt.

Zürich: Der feministische Streik begann bereits am Sonntagabend. Hunderte Frauen cruisten in einem Autocorso hupend durch die Langstrasse. Weil in der Schweiz alle zwei Wochen eine Frau durch ihren (Ex-)Partner getötet wird. Also keine Ruhe dem Patriarchat! Tags darauf beginnt es gemütlich mit Streik-Picknicks. Um 15.19 Uhr kommt erneut Bewegung in die Sache: Hunderte Velofahrerinnen blockieren die Kornhausbrücke – aus Protest gegen die Rentenaltererhöhung, die das Parlament in Bundesbern beschlossen hat, und die zunehmende Lohnungleichheit. Omnipräsent ist auch die Forderung: «Care-Berufe aufwerten, Pflegearbeit kollektivieren!» Am Abend übertrifft die Mobilisierung schliesslich alle Erwartungen. Eine gewaltige Demonstration flutet die Zürcher Innenstadt.

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