work-Autor Clemens Studer zu den Abstimmungen vom 13. Juni

Die Schweiz vergiftet weiter – und wird weiter vergiftet

Clemens Studer

Der vergangene Sonntag wird als Durchmarsch der reaktionären Schweiz in die Geschichte ein­gehen: Böden, Trinkwasser, Nahrungsmittel können weiter vergiftet werden. Ein Kommentar.

FEUCHTFRÖHLICH: (v. l.) Christian Imark, Albert Rösti, Hans Egloff (alle SVP), Patrik Eperon vom Centre Patronal und Thomas Hurter (SVP) freuen sich, dass weder Böden noch Wasser noch Klima gesünder werden. (Foto: Keystone)

Das Klima wird nicht einmal pro forma geschützt. Die von der Schweiz unterzeichneten Ziele des Pariser Abkommens – selbst sie ungenügend – können nun nicht mehr eingehalten werden. Rund 60 Prozent der Stimmberechtigten nahmen an den Abstimmungen teil. Durchgesetzt hat sich ein von den Chemie- und Erdöl­lobbys finanzierter Landsturm.

work-Autor Clemens Studer. (Foto: Franziska Scheidegger)

GEKAUFTE GIFTBAUERN

Am höchsten war die Ablehnung in ländlichen Gemeinden, die sich ohne Transferzahlungen von Städterinnen und Städtern nicht einmal das Bier aus der Landi leisten könnten fürs Apéro nach der Gemeindeversammlung. Geschweige denn Strassen, Schulen und Wasserversorgung. Alles finanziert mit Subventionen, dem Erlös aus überteuerten Lebensmitteln und aus dem Finanzausgleich. Regelmässig stellt sich der Bauernverband an die Seite der Erdöllobby, der Chemie-Multis, der Immobilienhaie, der internationalen Rohstoffkonzerne. Und lässt sich das alles gut bezahlen. Auch mit verbilligtem Treibstoff, der still geduldeten Zuchttier-Quälerei, absurden Subventionen für die Pflege des eigenen Hausgartens, mit geschenkten Kinderzulagen – und auch damit, dass sie sich nicht an das Arbeitsgesetz halten müssen.

EINSTELLTAGE

Gerade die SVP ist immer vorne mit dabei, wenn es darum geht, Menschen in Not zu drangsalieren: Stellenlose, Sozialhilfebedürftige und IV-Rentnerinnen und -Rentner. Einstelltage heisst das dann im Beamtendeutsch. Vielleicht wäre es höchste Zeit, einmal darüber nachzudenken, ob die Mehrheit der Bezahlenden nicht einfach mal der Bauernsame 365 Einstelltage auflegen sollte. Ein Jahr lang einfach mal die Milliarden sparen, die aus den Städten und von den Lohnabhängigen dort abge­sogen werden. Der Beitrag der Landwirtschaft zum Brutto­inlandprodukt (vereinfacht: die Wertschöpfung) entspricht ziemlich genau jener Summe, mit der sie direkt oder indirekt von den Lohnabhängigen ­finanziert wird.

Die Bäuerinnen und Bauern würden dieses Einstelljahr wohl gut ertragen, denn seit Jahrzehnten sind sie die einzige Berufsgruppe, die in der Schweiz faktisch von einem ­garantierten Mindesteinkommen profitiert. Und das Gift für die Felder würden die Chemiemultis sicher auch auf Pump liefern. Schliesslich dürfen sie jetzt weiterhin Böden, Trinkwasser und Lebensmittel vergiften.

Man könnte ja jetzt als Konsumentin und Konsument denken, nun erst recht nur noch bio-gelabelte Produkte kaufen! Das ist sicher vernünftig. Bloss: Biosuisse hat sich im Abstimmungskampf auf die Seite der Pestizid-Fraktion gestellt. Was sie dazu bewogen hat, bleibt unklar. Klar ist nur: Die Knospe riecht derzeit ziemlich modrig.

Die Entwicklung der Umwelttechnologien könnte die Schweiz einfach überrollen.

LINKE FEHLER

Fehler haben auch die fortschrittlichen Kräfte gemacht. Der ökologische Umbau in der Schweiz hat keine Bundeshaus-Gesichter, die mitreissen. Und er ist zahmer als in Deutschland oder sogar in ­Italien. Dort will der neue Energieminister, Roberto Cingolani, vorwärtsmachen und bis 2030 100 Mil­liarden Kilowattstunden neuen erneuerbaren Strom produzieren. Zusätzlich! Auch jene Linken und Klimabewegten, die gegen das CO2-Gesetz weibelten, weil es ihnen zu ­wenig weit ging, waren für die Durchsetzung an der Urne nicht grad hilfreich. Und dann ist da noch der Fehler, den die Rot-Grünen seit Jahren machen: Sie sind zu brav, zu kompromissbereit, zu romantisierend, was die Landwirtschaftspolitik angeht. Mit einem kleinen bisschen historischem Bewusstsein würden sie sich daran erinnern, dass der Grundstein für die Bauern-Verhätschelung am 24. November 1917 im Bierhübeli Bern gelegt wurde. Bei der Gründung der BGB, der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, der heutigen SVP. Dort trat ihr späterer Bundesrat ­Rudolf Minger mit dem Versprechen an, das Kapital ­gegen die Arbeitenden zu verteidigen. Was dann im Landesstreik auch geschah. Bauern schossen Arbeiter nieder unter dem Kommando von deutschfröntlerischen Offizieren. Und gründeten «Bürgerwehren» ­gegen die Streikenden. Das hat das Kapital nie vergessen und hätschelt die Bäuerinnen und Bauern bis heute.

UND JETZT?

Zu lange hat sich die Linke vom sogenannten «liberalen» Weg der Lenkungsabgaben einlullen lassen. Der ist am Abstimmungswochenende krachend gescheitert. Der Weg kann deshalb vorläufig nur in einem Subventionssystem bestehen. Zum Beispiel in der ­Unterstützung umweltfreundlicher Heizsysteme. Doch das wird nicht reichen, denn das Klima ist gekippt, die Böden und das Trinkwasser sind vergiftet. Fährt die Schweiz beim öko­sozialen Umbau also weiterhin Schlafwagen, könnte es gut sein, das sie nicht nur von den Nachbarländern abgehängt, sondern auch von der rasanten Entwicklung der Technologien im Umweltbereich einfach überrollt wird.


FDP:Präsidentin Petra Gössi schmeisst hin

FDP-Chefin Petra Gössi. (Foto: Keystone)

Petra Gössi, FDP-Präsidentin seit 2016, hat genug: Sie tritt per Ende Jahr zurück. Angeblich, weil sie sich wieder vermehrt auf ihren Beruf konzentrieren will. Können wir glauben, müssen wir aber nicht.

ZERMÜRBT. Denn Gössi, durch und durch bürgerlich, wurde vom rechten Flügel der Partei beziehungsweise ­ihrer Bundeshausfraktion seit längerer Zeit angeschossen. Meist anonym und gerne auch via SVP-Parteipresse. Ihr «Vergehen»: sie wollte die FDP wieder auf den ökologischen Pfad der früheren Jahre zurückführen. Und hat dafür auch das Placet der Mitglieder bekommen. Hintergedanke: die GLP ist zwar genau so antisozial wie die FDP, hat aber ein schickes grünes Mäntelchen, das bei den Wählenden gut ankommt. Während die FDP von Niederlage zu Niederlage stolpert. Jetzt haben jene Gössi zermürbt, die ihr Heil wieder im Seitenwagen der SVP suchen. Obwohl genau damit der FDP-Niedergang begann. Und ihr zwei der schlechtesten Bundesräte der letzten Jahrzehnte eingebrockt hat. Zuerst Hans Rudolf Merz, der die UBS-Krise nur darum nicht vermasseln konnte, weil er mit Herzinfarkt ausfiel. Und jetzt Rahmen­abkommen-Bruchpilot ­Ignazio Cassis. Die Regelung der Nachfolge wird zeigen, wohin sich die FDP bewegt. Grosse Wahrscheinlichkeit: zurück zur 3-A-Partei: für Auspuffe, AKW und Abzocker.


Lohn:  Zwei Erfolge

Der Abstimmungssonntag war für die Linksgrünen in diesem Land eine Ent­täuschung. Gott sei­ Dank gab’s aber auch noch zwei wichtige Erfolge an der Urne: Die Stimmenden des Kantons Jura nahmen eine Initiative der Unia an. Diese verlangt auf kantonaler Ebene Massnahmen zur konkreten Umsetzung der im Gleichstellungsgesetz des Bundes festgeschriebenen Lohngleichheit. Ja-Anteil: 88,3 Prozent!

MINDESTLOHN. Der Kanton Basel-Stadt führt als erster Deutschschweizer Kanton einen Mindestlohn ein. Zwar obsiegte der Gegenvorschlag mit 21 Franken und zahlreichen Ausnahmen über die Gewerkschaftsin­itiative, die 23 Franken forderte. Aber immerhin.

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