Bundesrat muss bis Ende Monat Entscheid treffen:

Rahmenabkommen: Hat’s noch Puls?

Clemens Studer

Das Gezerre um das EU-Rahmenabkommen in der vorliegenden Form nähert sich dem Ende. Und die Debatte darum treibt seltsame Blüten.

WIEDERBELEBUNGS-VERSUCH: Bundesrätin Viola Amherd möchte das Rahmenabkommen nochmals beatmen, mit erstaunlich gewerkschaftsnahen Vorschlägen. (Foto: Keystone)

Bis Ende Mai muss sich der Bundesrat entscheiden, wie es mit dem vorliegenden Rahmenabkommen mit der EU weitergeht: Abbruch, Abbruch hinauszögern, Neuverhandlungen? Die Aufgabe ist delikat. In erster Linie, weil Aussenminister Ignazio Cassis bei den Verhandlungen das Mandat des Bundesrates überschritten hat. Er wollte die flankierenden Massnahmen (FlaM) zum Lohnschutz opfern. Weil das auch die Marktradikalen in der EU wollen. Ihr Herz schlägt definitiv nicht für die Lohnabhängigen. Doch die Gewerkschaften stoppten den bundesrätlichen Kamikaze-Flieger und leisten seither entschieden Widerstand.

Was die Arbeitgeber nicht übers Rahmen­abkommen erreichen konnten …

UMFRAGE-SCHARADE

Das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form hat nur noch wenige Freundinnen und Freunde. Dazu gehört neben den rechten Grünen von der GLP auch die Pharmaindustrie. Die bestellte sich beim Meinungsforschungsinstitut GfS eine Umfrage – und dieses lieferte wie bestellt. Ergebnis: Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sind für das Rahmenabkommen. Besonders stark angeblich die Mitglieder der SP. Die Interpharma fand dann auch dienstbare Journalisten, die diese angebliche Sensation verkündeten und auftragsgemäss die Nebelpetarden zündeten. Und einen Angriff auf die SP-Spitze lancierten, Tenor: Die Umfrage zeige deutlich, dass die SP wegen ihrer Gewerkschaftsnähe an ihrer Basis vorbeipolitisiere. Dumm nur: die Umfrage gibt diesen Angriff gar nicht her. Denn die gestellte Frage lautete: Würden Sie einem «solchen Rahmenabkommen» zustimmen? In den Erläuterungen geht es darum, den bilateralen Weg abzusichern. Die Frage war eben nicht, ob man diesem Rahmenabkommen, also dem vorliegenden, zustimmen wolle. Sondern «einem Rahmenabkommen». Und da gibt es auch keine Differenz mit den Gewerkschaften. Sie sagen ja auch: «Rahmenabkommen ja, aber nicht so.» Konsequent und klar seit Beginn der Debatte.

… wollen sie jetzt ­einfach im Inland durchsetzen.

RETTUNGSTEAM AMHERD

Vergangene Woche lancierte CVP-Bundesrätin Viola Amherd einen Versuch, die festgefahrenen Verhandlungen mit der EU doch ­wieder in Fahrt zu bringen. Festgefahren sind die Verhandlungen insbesondere deshalb, weil Aussenminister Cassis offenbar auf irgendeinem Flughafen irgendeinem EU-Vertreter per Handschlag versprochen hat, das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form zu unterzeichnen. Verständlich, dass die EU jetzt mehr als ein bisschen irritiert ist über die innerschweizerischen Diskussionen und sich stur stellt. Amherd möchte den gordischen Knoten mit (verkürzt) zwei Dingen lösen: Die Schweiz kommt der EU bei der Unionsbürgerrichtlinie (mit Schutzklausel) entgegen, dafür werden die schweizerischen FlaM und damit insbesondere der Lohnschutz geschützt. Das ist bemerkenswert nahe an den gewerkschaftlichen Positionen.

ALTER WEIN, ALTE SCHLÄUCHE

Unterdessen bringen sich auch die Lohnschutzschleifer, die den ganzen Schlamassel angerichtet haben, in Stellung. Mit irgendwelchen Plänen B. FDP-Kreise und Teile der Arbeitgeber verlangen eine «Revitalisierung» der Schweizer Wirtschaft. Unter «Revitalisierung» verstehen sie in erster Linie tiefere Löhne, ­höhere Arbeitszeiten und weniger Arbeitnehmendenschutz. Oder andersrum: Was sie – dank dem Widerstand der Gewerkschaften – nicht über den Umweg Rahmenabkommen erreichen konnten, wollen sie jetzt einfach im ­Inland durchsetzen. Geradezu putzig ist die Spitze des Gewerbeverbandes unter Wortführung des vom Volk als Nationalrat abgewählten Hans-Ulrich Bigler. Sie hat seit Ausbruch der Corona-Pandemie aus ideologischen Gründen alles getan, damit es dem Gewerbe nicht bessergeht: Entschädigungen verzögert, nichtrentierende Haurucköffnungen durchgestiert und sich in Sachen Mieten auf die Seite der Immobi­lienhaie gestellt statt auf die Seite der Gewerblerinnen und Gewerbler, die unter den Mieten trotz geschlossenen Geschäften litten.

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