50 Jahre E-Mails:

Höchste Zeit für einen kleinen Wutanfall!

Marie-Josée Kuhn

@, @, @, oh, Affenschwanz, so lange begleitest du mich jetzt schon. Du Mail! Und täglich bekomm ich mehr von dir. Wasserfälle, Berg­rutsche, Lawinen von Mails. Mail-­Tsunamis.

KEIN TAG MEHR OHNE. Seit 50 Jahren werden Mails verschickt, mehr und immer mehr.

Sie verfolgen uns. Überschwemmen und erdrücken uns. Sie schreien «Sofort!» und «Hopphopp!» und «Hüü!!» Sie schreien nach Antworten. Dröhnen in den Ohren. Über 300 Milliarden von ihnen feuern wir weltweit täglich ab. So die Schätzungen. Eine Bestellung? @ und weg! Eine Reklamation? @ und tschüss! Eine Information? @ und – und ja, genau da fängt der grosse Koller auch schon an.

FAKTEN ODER FIK …

Mail geschickt, Arbeit erledigt! Manche verwechseln Mailen mit Arbeiten. Und lehnen sich danach zufrieden zurück. Ob ihre elektronische Post auch ankommt? Ob sie irgendwer liest? Who cares! Ist ihnen doch wurscht! Gemailt ist gemailt. Job ­erledigt, aus! Schlimmer noch: Manche sind sogar froh, wenn das Mail niemand liest. Dann müssen sie nicht schon am helllichten Tag in die Gänge kommen. Noch arbeiten. Denn, kommt es saublöd, und die Empfängerin antwortet tatsächlich: dann müsste man ja noch den Finger aus dem – und frau auch. Einverstanden, es sind nicht alle so. Aber manche dafür umso mehr: Sie toppen ihre Arbeitsminimisierungs-Strategie noch mit der passenden Betreffs-Strategie. Nach dem Motto: Versehen Sie Ihr Mail mit einem möglichst langen, langweiligen und wirren Betreff. Und schon verdoppelt sich Ihre Chance, dass es gleich im Papierkorb landet. «Wtr. Zürich: Ge …», zum Beispiel. Oder «Jetzt Stromar …» oder «Fakten oder Fik …».

Keine Fakes, sondern alles ­Betreff-Beispiele aus den Tiefen des real existierenden Mailalltags.

Und schon fallen der Empfängerin die Augendeckel zu. Noch bevor sie das Mail (ja, DAS Mail, da schweizerisch; und nicht DIE Mail, da deutschlandisch) lesen konnte.

Manche verwechseln Mailen mit Arbeiten.

FALSCHE TASTE

Heisser Tipp: Eine extra narkotisierende Wirkung ­haben Betreffs mit trümmligen Abkürzungen. In gewissen Organisa­tionen sind sie besonders beliebt. Etwa: «PSG GGP Sma …» Oder: «RTM 2018–2019». Beide ebenfalls nicht selber erfunden. Sie katapultieren uns garantiert subito in die REM-Phase. Und schlägt unser schwerer Kopf erst auf der Tastatur auf, drückt die Nase womöglich noch eine falsche Taste. Wie neulich in Deutschland geschehen. Also nicht die Nase, aber die falsche Taste: Am Morgen informierte der Informa­tionsdienst des Bundestags in ­einem Mail alle 4000 angeschlossenen Empfängerinnen und Empfänger darüber, dass ein neues Nachschlage­werk jetzt zur Ver­fügung stehe. Die Mitarbeiterin ­eines Abgeordneten der Grünen bestellte sich eine Kopie des Buchs, schickte ihre Mitteilung aber ­versehentlich «an alle». Schnell ent­wickelte sich der blanke Mail-Terror. Alle an alle an alle an alle an alle, bis der Mail-Server explodierte.

FWD. FWD. FWD.

Ok, Pannen kann es geben. Aber Tatzelwurm-Mails, die gibt’s eben auch. Die Meistgehassten unter den Gehassten! Und die gehen so: Einer schreibt und verschickt ein Mail an eine andere. Diese liest, schreibt als Kommentar einen Satz und schickt das Mail weiter. Dasselbe tut der nächste Empfänger. Und auch die nächste Empfängerin. Und die überüberüberüberübernächste auch. Prinzip Schneeballsystem. Fwd. Fwd. Fwd. Fwd. Fwd. Fwd: Und die Letzten werden die Allerletzten sein. Die allerletzten armen Chaiben, weil sie die ganze Tatzelwurm-Aufführung von unten her aufrollen müssen, um zu verstehen, was da eigentlich gespielt wird. Und nicht wenige verirrten sich in solchen Mail-Irr­gärten. Und kamen nie wieder raus. Echt jetzt! Und den Schuldigen, der den Tatzelwurm losliess, den wird man nicht zur Verantwortung ziehen können. Keine Chance! Denn er hat ja ganze Arbeit geleistet. Per Mail.

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