Das Frühlingswetter ist schön, die Pandemie-Aussichten weniger Corona:

Volle Kraft voraus in die dritte Welle?

Clemens Studer

Auch in der Schweiz steigen die Zahlen wieder. Das ist kein Naturereignis, sondern die Folge der Politik der rechten Parteien.

PIEKS: Toni Brunner erhielt als erste Person im Kanton Bern eine Covid-Impfung. (Foto: Keystone)

Im Unterschied zu den Nachbarländern hat die Schweiz nur einen Büsi-Lockdown. Auch darum steigen die Zahlen wieder: bis Redaktionsschluss sind 9662 Menschen im Zusammenhang mit Covid verstorben. Die Intensivpflegeplätze sind zu
77 Prozent ausgelastet. Pro Tag gibt es mittlerweile wieder um die 2000 neue Fälle. Der Sieben-Tage-Schnitt ist um 19 Prozent gestiegen. Alle Zahlen sind schlechter als in Deutschland oder Österreich, die härtere Massnahmen getroffen haben. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: die Pandemie könnte uns einmal mehr entgleiten. Die dritte Welle scheint bloss noch eine Frage von Tagen.

FÖDERALISMUS-VERSAGEN

Doch es gibt ein wenig Hoffnung: denn immerhin an der Impfstofffront gibt es Entwarnung. Zwar haben die wenigsten Kantone ihr Impfdispositiv wirklich im Griff. Aber nach Ostern soll es allenthalben besser kommen. Und die Verantwort­lichen in den Kantonen hätten ein mögliches Vorbild: die Präsidentin der Walliser Ärztegesellschaft. Die heisst Monique Lehky Hagen und hat gezeigt, wie Hausärztinnen und Hausärzte extrem schnell extrem viele Patientinnen und Patienten impfen können.

Dass die Schweiz Corona immer wieder nicht in den Griff bekommt, hat vor allem politische Gründe. Nach einer entschiedenen Phase der Politik unter Federführung des Bundesrates wurden im vergangenen Frühsommer die Erfolge verspielt. Weil die rechten Parteien, die Verbände des Gewerbes und die meisten Kantone nach «Mitreden» schrien. Letztere haben bis jetzt nichts wirklich im Griff: weder das Contact Tracing noch das Testen, nicht die Impfkampagne – und schon gar nicht die Auszahlung der Härtefallgelder. Föderalistisches Vollversagen.

Die Schweiz steht schlechter da als Deutschland oder Österreich, die aber härter durchgreifen.

VERZWEIFLUNG WÄCHST

Wirte- und Gewerbeverband sind ideologisch in ihrer «Staat bleib weg»-Mentalität gefangen und schaden damit ihren Mitgliedern. Schlauer machte es die Finanzindustrie. Banken und Versicherungen holten sich innert Nullkommanichts Milliarden von SVP-Finanzminister Ueli Maurer und verkauften das auch noch als KMU-Hilfspaket. Dabei flossen die Gelder hauptsächlich zu Banken, Versicherungen und Immobilienhaien. Diese konnten ihre Konten dank dem «Hilfspaket» ausgleichen, und die Banken machen damit auch noch zusätzlichen Gewinn. Denn einzig für Banken, Versicherungen und Vermietende brauchten die KMU Geld. Für die Löhne der Mitarbeitenden stand und steht die Arbeitslosenversicherung mit Kurzarbeitsentschädigung gerade. Für die meisten Betroffenen allerdings immer noch nur mit 80 Prozent. Während Firmen ihren Aktionärinnen und Aktionären gleichzeitig Dividenden auszahlen. Politisch so entschieden von der rechten Mehrheit im Bundesparlament.

Die ökonomischen Auswirkungen der Pandemiebekämpfung wachsen. Immer mehr Menschen gerade mit unteren und mittleren Einkommen sind mehr als am Anschlag. Auch das ist keine «natürliche» Folge der Pandemie. Sondern das Resultat der rechten Rappenklemmer-Politik. Im Unterschied zu unseren Nachbarländern, die wegen der Pandemiebekämpfung geschlossene Betriebe mit 80 Prozent des Vorjahresumsatzes entschädigen, gibt es in der Schweiz nichts Vergleich­bares. Und mehr noch: Die Immobilienhaie haben sich im Parlament durchgesetzt und müssen ihren ­Mieterinnen und Mietern, die wegen der Pandemie ihre Geschäfte schliessen mussten, keinen Rappen ent­gegenkommen. Wen wundert’s da, dass die Verzweiflung wächst. Und sich leider der Zorn auf die Falschen richtet. Die Covidioten-Demos haben – von der Polizei wohlwollend begleitet – zunehmend Zuwachs. Und die SVP bewirtschaftet das Thema. Statt sich im Parlament für tatsächliche Lösungen für die Betroffenen einzusetzen.

WAS KOMMT?

Die Zahlen sehen nicht gut aus. Selbst wenn ein immer grösserer Teil der Risikogruppen geimpft ist, steigen sie. Gerade bei Jüngeren und ganz Jungen. Schuld daran sind die Mutanten. Eine verantwortungsvolle Politik würde deshalb auf zwei Schienen fahren. Erstens: den Menschen die Existenzängste nehmen durch tatsächlich wirkungsvolle Entschädigungsmassnahmen. Geld dafür ist mehr als genug vorhanden. Bei der Nationalbank zum Beispiel. Zweitens: alles medizinisch Machbare so rasch wie möglich machen. Insbesondere die Impfoffensive beschleunigen. Denn unterdessen sind genügend Dosen da. Und dann die Testanzahl weiter erhöhen (siehe auch Seite 3). Notfalls muss der Bund den Schlampi-Kantonen Beine machen. Viele davon hatten jetzt ein Jahr Zeit, um zu zeigen, dass sie es nicht können.


Wirteverband:Ausser Rand und Band

Hilflos, hilfloser, Gastro­suisse: Die Gastrobranche gehört zu jenen Bereichen der Wirtschaft, die von den Pandemiebekämpfungsmassnahmen am heftigsten betroffen ist. Umso tragischer für die Wirtinnen, Wirte und ihre Mitarbeitenden, dass der Arbeitgeberverband Gastrosuisse (früher: «Wirte­verband») seit einem Jahr so hilflos agiert wie kaum eine andere Inter­essenvertretung. Statt auf ­Entschädigungen zu pochen, wie sie in unseren Nachbarländern längst ­gewährt wurden, fiel Gastro­suisse-Präsident ­Casimir Platzer nichts anderes ein als «Öffnen!». Vollkommen vergaloppiert hat er sich dann, als er im letzten Frühling ausschliesslich den rechten Bundesrätinnen und Bundesräten ein Mail schrieb, also an die «liebe Karin» (Keller-Sutter), die «liebe Viola» (Amherd), den «lieben Ueli» (Maurer), den «lieben Ignazio» (Cassis) und an den «lieben Herrn Parmelin». Botschaft: Re­staurants wieder auf, und zwar sofort!

KEIN WITZ. Bereits damals waren die intelligenteren seiner Mitglieder gedanklich und betriebswirtschaftlich schon weiter. Viel weiter als ihr Verbandspräsident. Doch Casimir Platzer irrlichtert weiter durch die Pandemie. Neuerdings mit dem Vorschlag einer Volksinitiative für Entschädigungen in einer Pandemie. Also genau das, was Platzer schon vor einem Jahr hätte haben können, wenn er nicht gepatzt hätte.

Und, kein Witz, leider: 62 Prozent der Beizen waren schon vor Corona betriebswirtschaftlich nicht überlebensfähig. Sagen die Zahlen von Platzers Gastrosuisse.

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