Schweiz – EU: Es braucht einen Neustart

Tot, toter, Rahmenabkommen

Clemens Studer

Das Rahmenabkommen mit der EU ist tot. Auch wenn es der Bundesrat bisher nicht zugeben mag. Jetzt ist es Zeit für einen Neuanfang.

NEUSTART, JETZT! Das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form ist nicht mehr zu retten. Ein neuer Vertrag muss zwingend den Schweizer Lohnschutz beinhalten. (Foto: Keystone)

Gut sieben Jahre verhandelte die Schweiz mit der EU über das sogenannte Rahmenabkommen. Es sollte die bilateralen Beziehungen einfacher machen. Statt im «autonomen Nachvollzug» sollten die Ergänzungen des EU-internen Rechts quasi «automatisch» auch für die Schweiz gelten. Schliesslich sind wir Teil des europäischen Binnenmarktes. Doch jetzt ist das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form tot. Um das festzustellen, braucht es keine hellseherischen Fähigkeiten. Der Bundesrat traf sich zwar eben noch zu einer europapolitischen Retraite. Ergebnisse waren bis Redaktionsschluss dieser work-Ausgabe keine bekannt. Das vorliegende Abkommen hat aber keine Chancen. Und schon gar nicht vor dem Volk.

Jetzt braucht es ­tatsächlich einen
­«Reset-Knopf» …

WENIGER CASSIS

Zur Erinnerung: 1992 scheiterte der Beitritt zum EWR hauchdünn wegen der SVP, eines grossen Teils der Grünen und ein paar versprengter Rechtssozialdemokraten, wie zum Beispiel des heutigen Kolumnisten des «Tages-Anzeigers», Rudolf Strahm. Es folgten konjunkturpolitisch magere Jahre bis zum Abschluss der bilateralen Verträge. Diese sollten mit einem Rahmenabkommen mit der EU auf ein gesichertes Fundament gestellt werden. Doch die Schweiz gefiel sich in Rosinenpickerei. Insbesondere die Mil­liardärspartei SVP. Sie beschwört einerseits die «Rütlischwur-Schweiz» und will gleichzeitig den völlig globalisierten Markt (ausser für die Bauern). Ihre Anti-EU-Drohgebärden beeindruckten FDP und CVP damals derart, dass kaum etwas vorwärtsging. Dann wurde der ehemalige Tessiner Kantonsarzt Ignazio Cassis in den Bundesrat gewählt. Mit den Stimmen der SVP. Denn der freisinnige Cassis gab das Versprechen ab, bei den Verhandlungen mit der EU den «Reset-Knopf» zu drücken. Schon damals ein sehr vollmundiges Wort. Aber Cassis ging noch weiter: Mit Unterstützung des marktgläubigen Staatssekretariats für Wirtschaft überschritt er – ganz im Sinne der SVP – die vom Gesamtbundesrat vorgegebenen roten Verhandlungslinien. Er wollte den Schweizer Lohnschutz opfern und die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit gleich mit. Das ist ein alter Traum der Rechtsparteien und der Wirtschaftsverbände.

… einfach einen anderen, als ihn Ignazio Cassis versprach.

MERKIGER RECHSTEINER

Doch der wendige Cassis hatte die Rechnung ohne den merkigen damaligen SGB-Präsidenten Paul Rechsteiner gemacht. Dieser bemerkte den rechtsbürgerlichen Trick, zog im Sommer 2019 die Notbremse und verweigerte weitere Verhandlungen. Mit Wirkung! Der Bundesrat erschrak und setzte den da­maligen Volkswirtschaftsminister ­Johann Schneider-Ammann als Vermittler ein. Doch auch der freisinnige Patron konnte nicht kitten, was längst verchachelt war.

Noch eine lange Weile weibelten Wirtschaftsverbände, die rechten Grünen von der GLP und ein paar Rechtssozialdemokraten für das Abkommen. Doch trotz medialer Unterstützung kamen sie auf keinen grünen Zweig. Insbesondere auch darum, weil süddeutsche Wirtschaftsverbände zwar aus vollen Rohren gegen den Schweizer Lohnschutz schossen, aber die europäischen Gewerkschaften sich hinter die Position der Schweizer Kolleginnen und Kollegen stellten. Sie ­begriffen: Die flankierenden Massnahmen der Schweiz zur Personenfreizügigkeit sind eine Errungenschaft für die Lohnabhängigen. Und wären auch ein Vorbild für die EU.

Und jetzt? Jetzt braucht es tatsächlich einen «Reset-Knopf». Einfach einen anderen, als ihn Ignazio Cassis der SVP versprochen hat. Unia-Chefin Vania Alleva sagt es so: «Der Angriff auf den Lohnschutz ist inakzeptabel. Wir Gewerkschaften mussten das stoppen. Die Schweiz und die EU müssen verstehen, dass starke Arbeitnehmendenrechte die Basis der bilateralen Beziehungen sind. Wir verlangen, dass sie jetzt darauf aufbauen, um ihre künftige Zusammenarbeit zu vertiefen.»

Will heissen: Rahmenvertrag gerne, aber ohne Angriff auf den Schweizer Lohnschutz und den Schweizer Service public. Beide Bereiche müssen ausserhalb dessen bleiben, was der Europäische Gerichtshof entscheiden kann. Denn der entscheidet immer wieder gegen die Lohnabhängigen.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.