Bundesrat will Postfinance privatisieren:

Erfüllt Sommaruga einen alten neo­liberalen Traum?

Clemens Studer

Der Bundesrat will die ­Post­finance dem Finanz­casino zuführen. Hat er aus dem PTT-Fiasko denn nichts gelernt?

GELBWESTE: Geht Postministerin Simonetta Sommaruga auf Distanz zum Service public? (Foto: Keystone)

Die Postfinance hat 2,7 Millionen Kundinnen und Kunden. Für diese arbeiten 3660 Mitarbeitende. Sie ist finanziell kern­gesund. Obwohl sie von der rechten politischen Mehrheit seit Jahren an die Kette gelegt wird. Das Pfand, mit dem die Rechten wuchern, ist das Kreditverbot. Die Postfinance darf derzeit direkt weder Hypotheken vergeben noch Gewerbekredite.

Das ist von den Rechten politisch so gewollt: Weil eine starke Bank im Besitz der All­gemeinheit die Geschäfte der Privaten schmälern könnte. Bisher galt hier so quasi ein Waffenstillstand zwischen den politischen Lagern. Das Desaster mit der Idee, die bis anhin gut funktionierende Post «an den Markt heranzuführen», hatte eine heilsame Wirkung. Denn seither wurden die Dienstleistungen schlechter, die Löhne niedriger und die Preise höher.

Und dann kam der 20. Januar. Simonetta Sommaruga, ehemalige Konsumentenschützerin und heutige Bundesrätin (SP), tritt vor die Kamera und verkündet: Die Fesseln der Postfinance werden gelöst, aber im Gegenzug wird sie privatisiert. Also soll der jahrzehntelange Traum der neoliberalen Service-public-Zerschlager doch noch Wirklichkeit werden.

Wir brauchen eine zockerfreie Postbank für alle.

NICHTS GELERNT

Ein Blick zurück: 1988 leitete die rechte Parlamentsmehrheit gemeinsam mit ein paar sich damals auf dem «dritten Weg» befindenden SP-Mitgliedern die Aufteilung der PTT ein. Sie hatten es relativ einfach. Weil die PTT-Chefs den Puck nicht checkten, der von den technologischen Entwicklungen im Telekombereich ausging. Die ärgerlichen und damals teuren Zwangsabos für technisch hinterwäldlerische Telefonapparate machten es den neoliberalen Staatsabbauern einfach, Stimmung für die Aufteilung aufzubauen.

Es war tatsächlich eine Erleichterung, als man nicht mehr vier Wochen warten musste, bis ein übelgelaunter, die Wohnung inspizierender PTT-Mann sich erbarmte, einen Telefonanschluss zu legen und/oder abzunehmen. Dass die PTT-Männer – wie es sich beim Fichenskandal gezeigt hatte – zu den fleissigeren Zuträgern des Spitzelstaates gehörten, trug auch bei den Linken nicht gerade dazu bei, die PTT zu verteidigen. Was im nachhinein wohl ein Fehler war.

Aber jetzt schreiben wir das Jahr 2021. Und wir sollten gelernt haben. Eine Postbank für alle, die allen gehört, wäre wahrer Service public. Mit gedeckelten Löhnen bei einer halben Million. Seriöse und faire Angebote für Lohnabhängige, KMU und ­Eigenheimerwerbende. Wer dann immer noch zocken will, darf sich gerne an CS, UBS & Co. wenden. Dort dann einfach ohne implizite Staatsgarantie!

Eine starke Postbank würde die Abwicklung der nötigen Geldgeschäfte der Mehrheit der Menschen sicherstellen. Langweilig womöglich, aber wichtig. Kein «big to fail» mehr. Und die Swisscom könnte bei Gelegenheit auch gleich wieder aus dem Börsencasino herausgeholt – und die Kaderlöhne auf anständige Dimensionen gebracht werden.

Eine so aufgestellte «neue PTT» könnte dann auch den SBB als Vorbild dienen. Die unter der Ägide von Ex-CEO Andreas Meyer vor allem durch Lohnexzesse des obersten Kaders auffielen, durch den Abbau von Dienstleistungen, durch ein aufgeblähtes Management, durch verlotternde Infrastruktur und durch die Beschaffung von Schrottzügen. Dies bei gleichzeitigem Druck auf die Arbeitsbedingungen von all jenen, die den realen Betrieb am Laufen halten Tag für Tag. Im Gegensatz etwa zu Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar (rund 300 000 Franken für ein 60-Prozent-Pensum), die sich an ihrem Wohnort
am Bahnhof einen Mobility-Parkplatz schnappte, damit sie ihren Maserati Quattroporte (400 PS, 20 Liter auf 100 Kilometer im Stadtverkehr) parkieren konnte. Die ­Distanz von ihrer Nobelresidenz in Rüschlikon ZH zum Bahnhof beträgt 900 Meter, zu Fuss wären das schlendernd knappe 10 Minuten. Also das, was Zugbegleitende mal locker zwischen Zürich und Lenzburg AG durch die Waggons ablaufen. Nicht schlendernd, sondern arbeitend.

Bald wird Ex-SP-Chef und Gewerkschafter Christian Levrat Postpräsident. Er folgt auf jahrzehntelangen CVP-Filz, der dem Neoliberalismus und Service-public-Abbau nie abhold war. Es ist zu hoffen, dass Levrat gegen neue Privatisierungspläne energisch antritt oder sie subtil verhindert. Das wäre gut für die Konsumentinnen und Konsumenten – und vor allem auch für die Post-Mitarbeitenden.

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