Corona:

Doch noch ein bisschen Vernunft beim Freisinn

Clemens Studer

Kann eine Pandemie per politischen Entscheid beendet werden? Ein Virus per Handerheben verscheucht? Jeder vernünftige Mensch weiss: Nein! Doch genau das wollte die rechte Mehrheit der nationalen Wirtschaftskommission.

PHARMAINDUSTRIE: Der Impfstoff, den die Lonza in Visp produziert, gehört dem US-Konzern Moderna. (Foto: Keystone)

Bundesrat entmachten, Expertinnen und Experten zum Schweigen bringen, alles wieder öffnen, die wirksamsten Pan­demiebekämpfungsmassnahmen aufheben. Und zwar exakt am 22. März. Der Anstoss kam von der SVP. Das ist nicht überraschend. Eher überraschend: Vertreterinnen und Vertreter von FDP und «Die Mitte» (Ex-CVP) höselten mit (work berichtete). Bis zur Debatte im Plenum kamen sie dann aber doch noch zur Vernunft und lehnten die Anträge ihrer Kommission grossmehrheitlich ab.

Dafür zündete die FDP mit gütiger Mithilfe der vereinigten Zentralredaktion der TA-Medien bereits die nächste Nebelgranate. Die ging so: das Bundesamt für Gesundheit (BAG) habe von der Lonza das Angebot bekommen, mit der Investition in eine Produktionsstrasse schneller zu mehr Impfstoff zu kommen. Der Bund habe abgelehnt. Das sei ein Skandal, der von einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) aufgearbeitet werden müsse.

FDP sträubte sich gegen den Kauf einer Impfstoffproduktion.

Blöd I: Selbst wenn es ein solches Angebot in dieser Form gegeben hätte, hätte es der Bund gar nicht annehmen können. Die gesetzliche Grundlage fehlt.

Blöd II: Die gesetzliche Grundlage fehlt auch deshalb, weil sich die FDP seit Jahren gegen unzählige entsprechende Vorstösse von links gesträubt hat. Auch gegen einen Vorstoss der ehemaligen SP-­Nationalrätin Bea Heim. Die Gesundheitspolitikerin hatte verlangt, dass die Armeeapotheke zur Volksapotheke und ihr Auftrag so erweitert werde, dass sie der Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Impfstoffen und Medikamenten diene.

Blöd III: Die Lonza produziert «nur» den Wirkstoff für die Impfung. Im Auftrag des US-Konzerns Moderna. Dieser lässt die Impfdosen in Spanien fertigstellen. Der Impfstoff gehört gar nicht Lonza. Sowenig wie ein Sanitärinstallateur eine Eigentumswohnung verkaufen kann, in der er das Bad eingebaut hat, so wenig kann die Lonza Moderna-Impfstoffe verkaufen. So funktioniert Kapitalismus. Das müsste insbesondere die FDP doch eigentlich wissen.

Blöd IV: Die Schweiz hatte während über 100 Jahren einen Betrieb, der weltweit gefragte Impfstoffe produzierte: die Berna ­Biotech AG. Von ihr kamen Impfstoffe gegen Pocken, Diphtherie, Polio, Cholera, Hirnhautentzündung, Hepatitis, Grippe und die Covid-Vorgängerin Sars. 2005 steckte die Berna Biotech AG während der Vogelgrippe-Pandemie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie bewarb sich um die Lieferung von 100 000 Impfdosen, die der Bund ausgeschrieben hatte. Und bat gleichzeitig um eine Investi­tionshilfe von 12 Millionen Franken für eine Produktionsstrasse. Der damalige FDP-Bundesrat Pascal Couchepin und der damalige SVP-Bundesrat Christoph Blocher lehnten ab. Und vergaben den Auftrag ins Ausland.

ZURÜCKRUDERN

Wenige Tage später ruderte FDP-Fraktionschef Beat Walti zurück. Jetzt plädiert die FDP plötzlich für die Möglichkeit, dass der Bund zumindest im medizinischen und pharmazeutischen Bereich Industriepolitik betreiben kann. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth liess sich die Chance nicht entgehen und reichte einen Antrag ein, der möglich machen will, dass der Staat sich «am Aufbau oder der Sicherung von inländischen Produktionskapazitäten für Medikamente, Tests, Behandlungen oder Impfstoffe beteiligen (kann) oder sie mittels direkter, finanzieller Unterstützung fördern». Dann ging es plötzlich schnell: sowohl Ständerat wie auch Nationalrat wollen dem Bund diese Möglichkeit geben. Die Schlussabstimmung war erst nach Redaktionsschluss.

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