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Unbekannte antifaschistische Heldinnen und Helden: Alles riskiert im Kampf gegen Hitler

Ralph Hug

Sie stehen in keinem ­Geschichtsbuch. Und machten doch Ge­schichte: mutige Büezer und engagierte Linke.

DOKUMENT: Ernst Bärtschi (Kreuzlingen) und Paul Nusch (aus Offenbach), Fluchthelfer und Emigrant auf dem Bodensee vor Konstanz, über den Bärtschi mit dem Paddelboot Flüchtlinge über die Grenze brachte. (Foto: mathiasknauer.lemmata.ch)

Ernst Bärtschi war Metallarbeiter in Kreuzlingen TG. Und ein beherzter Antifaschist. Er konnte nicht tatenlos zusehen, wie Hitler Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter verfolgen und ermorden liess. So beschloss er zu helfen. Nachts holte er mit dem Boot Emigranten von Konstanz in die Schweiz. In der Freizeit schmuggelte er Anti-Hitler-Schriften ins Nazi-Reich. Bis nach Freiburg und Frankfurt. Die Papiere versteckte er in seiner Büezertasche. «Sonst hat niemand den Schneid gehabt, das zu tun», sagte Bärtschi später.

Die Schweizer Polizei verfolgte Linke, nicht die Faschisten.

ZUERST GEGEN DIE LINKEN

Er rettete damit Leben. Dank Leuten wie Bärtschi entkamen Betriebsräte, SPD-Mitglieder, Kommunistinnen und politisch Aktive den Nazi-Schergen und dem sicheren Tod im KZ. Denn die ersten, die Hitler eliminieren liess, waren nicht Jüdinnen und Juden, sondern Linke und Oppositionelle aller Couleur. Sie mussten fliehen, auch in die Schweiz. Viele kamen illegal über die Grenze und lebten teils unerkannt bei Kollegen und Genossinnen. Und die wurden hier von der Bundespolizei (heute: «Nachrichtendienst des Bundes») verfolgt. In der Schweiz gab es damals einen weitverzweigten linken Untergrund. Ein Netz von Antifaschistinnen und Antifaschisten, die sich weder von Hitler noch vom kuschenden Bundesrat beeindrucken liessen. Sie waren die wahren Heldinnen und Helden der 1930er Jahre. In den offiziellen Geschichtsbüchern fehlen ihre Namen.

Dass sie nicht in Vergessenheit geraten, dafür sorgten Autorinnen und Autoren aus der 1968er Generation wie Mathias Knauer und Jürg Frischknecht. Knauer drehte 1982 den Dokumentarfilm «Die unterbrochene Spur». In jahrelangen Recherchen hatte er die antifaschistisch Bewegten aufgespürt und vor die Kamera geholt. Zusammen mit dem Journalisten Jürg Frischknecht wurde daraus das gleichnamige Buch im Limmat-Verlag. «Die unterbrochene Spur» ist inzwischen ein Klassiker der antifaschistischen Literatur. Und ein Muss für alle, denen die Geschichte der Linken am Herzen liegt.

ROTE HILFE

Auch Martha Berner war eine jener mutigen Menschen in dunkler Zeit. Sie beherbergte in ihrer Wohnung in Zürcher Kreis 4 Emigranten der Roten Hilfe, einer kommunistischen Selbsthilfeorganisation. Ständig klopften Polizisten an ihre Tür und wollten wissen, ob jemand bei ihr sei. Unter ihren «Gästen» war auch die Deutsche Lore Wolf. Die Rote Hilfe hatte sie in die Schweiz geschickt, um die Bevölkerung über die Greueltaten des Nazi-Regimes aufzuklären. Die Bundespolizei war ihr überall auf den Fersen. «Unter den Beamten gab es Nazi-Anhänger», beobachtete sie. Wolf wurde verhaftet, und sie musste sich sogar mit einem Hungerstreik gegen die schikanöse Behandlung im Gefängnis wehren.

All diese spannenden Geschichten sind jetzt in der Neuauflage der «Unterbrochenen Spur» nachzulesen. Der Band enthält Knauers restaurierten Film auf einer Blu-ray-Disc. Auch Ernst Bärtschi erzählt darin seine Geschichte. Und wie er 1938 in eine Falle lief und im Nazi-Zuchthaus landete. Erst bei Kriegsende 1945 kam er wieder frei. Seine Gesundheit war seitdem ruiniert. Bärtschi, der Held von Kreuzlingen, erhielt nur eine Genugtuung von Deutschland. Nie aber eine von Bern.

Mathias Knauer und Jürg Frischknecht: Die unter­brochene Spur. Antifaschistische Emigration in der Schweiz von 1933 bis 1945, Limmat-Verlag, Zürich 2020, mit Blu-ray-Disc des gleichnamigen Films (144 min), ca. CHF 48.–.

Professor Tanner: Antifaschismus auch heute nötig

Wer «Die unterbrochene Spur» schon kannte, wird in der Neuausgabe des Klassikers trotzdem belohnt: mit einem hervorragenden Vorwort des ehemaligen Zürcher Geschichts­professors Jakob Tanner. Er schlägt einen grossen Bogen von den 1930er Jahren bis in die Gegenwart. Und ordnet das Engagement vieler einfacher Menschen gegen Hitler und seine Fans in der Schweiz treff­sicher ein. So meint Tanner: «Das Buch erinnert uns daran, dass dieses antifaschistische Engagement unabdingbar bleibt, solange die Würde von Menschen durch rassistische Parteien, diskriminierende Praktiken und antisemitische Propaganda bedroht wird.»

3 Kommentare

  1. Andreas Burckhardt

    Heute sind die widerlichsten Nazis die, welche den Stalin-Hitler-Pakt-Vergötterer, Holodomor-Völkermord-Leugner, Massenmörder und Kriegsverbrecher Putin und dessen Verbrecher Regime und dessen naziruSSische Wehrmacht anhimmeln.
    In der Schweiz ist das vor allem Roger Goebbels -pardon: Köppel – mit seinem unter dem Pseudonym „Weltwoche“ erscheinenden Naziblattb „Völkischer Beobachter“

  2. Vivienne

    Vielen Dank, ich kannte „Die unterbrochen Spur“ noch nicht!

    Liebe Grüße

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