12-Tage-Streik bei Leclanché: Elektrikerin Julie Rochat erzählt

«Lasst den Kopf nicht hängen: Wehrt euch!»

Jonas Komposch

Die Kondensatorenfabrik Leclanché Capacitors in Yverdon VD schliesst. Elektrikerin Julie Rochat * (33) erklärt, warum sich der 12-Tage-Streik trotzdem gelohnt hat. Und worauf man bei drohenden Entlassungen achten muss.

VICTOIRE! Elektrikerin Julie Rochat erhält fünf statt nur zwei Monatslöhne als Abfindung. (Foto: Matthias Luggen)

«Angefangen hat alles am 12. August. An diesem Tag hat uns der Chef die Betriebsschliessung angekündigt. Schon am nächsten Morgen kam die Bestätigung des französischen Elektrokonzerns Mersen, der unsere Kondensatorenfabrik erst 2018 gekauft hatte. Das war ein Schock, denn noch im Februar hiess es, unser Unternehmen laufe gut. Und bei Leclanché sind wir ja ein eingeschworenes, familiäres Team. Auch unser Chef ist sehr sympathisch. Er kennt uns alle und ist ein richtiger Patron und eben kein Direktor!

Jedenfalls sind wir dann in die Konsultationsphase eingetreten. Aber Mersen hielt sich nicht an die Regeln. Ein Beispiel: Der Konzern schickte eigens einen Vertreter aus Frankreich. Der stellte sich uns als ‹Vermittler› vor und behauptete, er gehöre gar nicht zur Mersen-Gruppe. Doch wenig später teilte uns die Mersen-Personalabteilung mit, dass dieser Herr keineswegs Vermittler, sondern unser neuer Direktor sei! Oder die Sache mit den Auftragseingängen: Diese wurden von Mersen am 15. September einfach blockiert. Es waren sogar schon Leute vor Ort, um die Betriebsauslagerung nach Norddeutschland abzuwickeln. Dies, obwohl die Konsultationsphase noch nicht abgeschlossen war. Das ging zu weit.

«Dank dem Streik sind die Abfindungen massiv besser.»

FAST KEINE ANGST. Und so beschlossen wir den Streik. Wir, das heisst fünf Frauen und sieben Männer. Fünf weitere Kollegen haben nicht mitgemacht. Sie befürchteten, keine Abfindung zu erhalten, wenn sie streikten. Sie sollten sich täuschen.

Streikerfahrung hatte niemand von uns. Da hat es schon sehr geholfen, die Unia-Leute an unserer Seite zu wissen. Die haben uns voll unterstützt, viel administrativen Kram abgenommen und von Anfang an klargemacht, dass wir uns auf eine lange Auseinandersetzung einstellen müssten. Die Rede war von etwa drei Wochen. Letztlich haben wir während 11,5 Arbeitstagen gestreikt. Das war aufreibend! Denn Mersen drohte uns von Anfang an mit der fristlosen Kündigung, weil der Streik illegal sei. Und wir hatten alle Hände voll zu tun: Wir machten täglich Versammlungen, haben Strategien überlegt, diskutiert, Pressemitteilungen verfasst, Interviews gegeben, Plakate gemalt und zusammen gekocht. Gegessen haben wir an einem grossen Tisch mitten in der Fabrik. Sehr gefreut hat mich die Solidarität aus der Bevölkerung. Etwa 100 Leute kamen an eine Protestdemo, um uns zu unterstützen. Aber das Wichtigste war, das wir uns gegenseitig geholfen haben!

WIE AUF NADELN. Dann endlich gab Mersen nach und schaltete das kantonale Einigungsamt ein. Der Weg für Verhandlungen war frei. Diese dauerten drei lange Tage. Wir waren wie auf Nadeln, bis das Verhandlungsresultat stand: Abfindungen für die ganze Belegschaft in der Höhe von 5 bis 15 Monatslöhnen – je nach Dienst- und Lebensalter. Und für eine Kollegin, die kurz vor der Pensionierung steht, die vollen Pensionskassenbeiträge.

Und Mitarbeitende, die wie ich Kinder zu betreuen haben, erhalten zusätzliche Entschädigungen. Dieses Resultat haben wir angenommen. Denn es ist massiv besser als das, was Mersen am Anfang angeboten hatte: Nur 2 bis maximal 5 Monatslöhne. Auch wenn unsere Fabrik schliesst, hat sich der Streik also gelohnt. Und ich rate allen Menschen, die mit einer Betriebsschliessung konfrontiert sind: Lasst den Kopf nicht hängen! Wehrt euch! Und vor allem: Haltet zusammen! Sonst ist das Unternehmen am längeren Hebel.»

Aufgezeichnet von Jonas Komposch


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