Nyon VD: Massenentlassung bei US-Diät-Konzern

Weight Watchers speckt ab – ohne Sozialplan

Ralph Hug

Das Abnehm-Unternehmen Weight Watchers steckt in der Krise. In der Schweiz sind 110 Jobs in Gefahr.

(Illustration: Ruedi Widmer)

Die Hiobsbotschaft kam vor drei Wochen an einer Videokonferenz. Der Schweizer Sitz von WW International – so heisst Weight Watchers heute – in Nyon VD gab eine massive Restrukturierung bekannt. 110 der insgesamt 174 Mitarbeitenden sollen den Job verlieren. Als Grund nannte der Konzern den Geschäftseinbruch wegen der Corona-Pandemie. Doch das scheint eher vorgeschoben. Es ist seit längerem bekannt, dass das US-Unternehmen mit 1,4 Milliarden Dollar Umsatz und 8200 Beschäftigten in dreissig Ländern in der Krise steckt. Müssen jetzt die Mitarbeitenden für ein jahrelanges Missmanagement bezahlen?

Es trifft vor allem Frauen über 50, die Teilzeit als «Coach» arbeiten.

OPRAH SOLL’S RICHTEN

Zu lange hatte sich das Unternehmen auf den Erfolgen von gestern ausgeruht. Es verlor immer mehr Kundinnen und Kunden, dies trotz verbrei­teter Fettleibigkeit. Ein überholtes Image vom Abnehmen durch Diäten sowie die neue Konkurrenz im Internet durch Apps mit zeitgemässen Programmen zur Gewichtsreduktion liessen Weight Watchers zunehmend alt aussehen. Die Versäumnisse verbauten ihm den Zugang zum jüngeren Publikum. Coop schmiss die Weight-Watchers-Produkte bereits 2016 wegen mangelnder Nachfrage aus dem Sortiment. Dann riss das Management das Steuer herum. Man heuerte mit Oprah Winfrey die bekannteste und reichste Talkmasterin der USA an. Winfrey macht seither für WW Werbung – und verdient als Grossaktionärin dick mit.

Seither ist nicht mehr von Kampf gegen Kilos, Diäten, Gewichtsverlust und Hungern die Rede. Sondern nur noch von Schlanksein, Gesundheit und Lifestyle. Der Abnehm- soll zum Wellness-Konzern mutieren. Und vermehrt sollen auch digitale Programme via Internet vermarktet werden. Das angekündigte grosse Stellenstreichkonzert ist eine Folge dieser neuen Strategie. Es trifft vor allem über 50jährige Frauen, die Teilzeit als «Coach» oder Kundenberaterinnen tätig sind. In den Lokalen der WW-Community tauschen sich die ebenfalls meist über 50jährigen Teilnehmerinnen der Abnehmprogramme über ihre Erfolge und Misserfolge aus.

VIELE UNIA-NEUEINTRITTE

Die angekündigte Massenentlassung hat viele aufgeschreckt. Betroffene klopften bei der Unia Waadt an. Regioleiter Yves Defferrard: «Wir haben Versammlungen durchgeführt und ein Mandat der Belegschaft erhalten.» Doch bis Redaktionsschluss weigerte sich das Unternehmen, mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Immerhin verlängerte die unter Druck geratene Direktion die Konsultationsfrist für Vorschläge zur Rettung der Stellen bis zum 5. Juni. Yves Defferrard hat das Waadtländer Volkswirtschaftsdepartement aufgefordert zu vermitteln. Er sieht einen grossen Rückhalt für die Betroffenen in der Öffentlichkeit: «Viele Leute sympathisieren mit den Frauen, die jetzt ihre Stellen verlieren.» Die Unia verzeichnet unter den Betroffenen eine selten hohe Zahl von Neueintritten. Defferrard ist optimistisch, dass die Mobilisierung Früchte trägt. Weight Watchers kennt weder einen Gesamtarbeitsvertrag noch einen So­zialplan.


Weight Watchers: Dicke Chef-Gehälter

Abnehmen? Aber nicht bei den obersten Löhnen! Der Weight-Watchers-Konzern geriet 2017 durch seine unverschämte ­Abzockerei in die Schlagzeilen. ­Damals wurde ­Mindy Grossmann (62) als neue ­operative Chefin ­gewählt. Sie hatte zuvor in TV-Shoppingkanälen Kar­riere gemacht.

EXZESS. Grossmann kassierte gleich im ersten Jahr eine exzessiv hohe Entschädigung von 33,4 Mio. Dollar. Das ist gemäss ­Berechnungen des US-Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO sechstausend Mal mehr, als eine Mitarbeitende in Teilzeit verdient – die grösste Lohn­ungleichheit in allen US-Konzernen. Inzwischen ist das ­Gehalt von Grossmann wegen der Talfahrt des Konzerns auf 8,8 Mio. Dollar «geschrumpft».

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