Ladenöffnungszeiten Tessin:

Die Unia klagt

Michael Stötzel

Plötzlich gelten im Tessin schlagartig 80 Quartiere als «Tourismuszonen» und dürfen ihre Laden­öffnungszeiten massiv verlängern. So nicht! sagt die Unia Tessin – und geht vor Bundesgericht.

LUGANO: Im Tessin gelten neu 80 Quartiere als «Tourismusgebiete». (Foto: iStock)

Seit Anfang Jahr können im Tessin die Läden von 80 Quartieren in 115 Gemeinden sieben Tage die Woche von 6 bis 22 Uhr 30 Uhr offen haben. Weil sie neu als «touristische Zonen» gelten. Darunter auch das Quartier Molino Nuovo in Lugano. Dort ist der neue Unia-Regioleiter Tessin, Giangiorno Gargantini, geboren und aufgewachsen. Er versichert, «dass ich dort noch nie einen Touristen gesehen habe». Und genau das hatte die Tessiner Unia erwartet: Im März 2015 hatte das Kantonsparlament die Ladenöffnungszeiten im ganzen Tessin wochentags um eine halbe und am Samstag um anderthalb Stunden verlängert. Dagegen hatte die Gewerkschaft das Referendum ergriffen, in der Überzeugung, dies sei nur der erste Schritt zu immer längeren Verkaufszeiten. Also die reinste Salamitaktik. Und die Unia dachte auch, die zum Ausgleich angekündigten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen werde es nicht geben. Zwar scheiterte das Referendum Anfang 2016. Doch nun bekommt die Unia recht.

DIE LÜGEN

Das neue Ladenöffnungsgesetz beschränkt sich nämlich keineswegs auf die halbe Stunde mehr. Die bisher etwa ein Dutzend «touristischen Zonen», in denen der Detailhandel von den langen Verkaufszeiten profitieren kann, haben sich plötzlich vermehrt. Auch die Arbeitsbedingungen wurden nicht verbessert, kritisiert die Unia Tessin. Zwar enthält das Gesetz einen allgemeinverbindlichen GAV, er sei jedoch schlechter als bestehende Verträge grosser Detailhändler. Teilweise führe er sogar zu Lohnabbau. Unia-Mann Gargantini: «Wer auch immer unter den Verkaufenden verbreitet hat, dass sich ihr Lohn verbessern würde, hat gelogen.» Es war die zweite grosse Lüge, nachdem der Bevölkerung bei der Abstimmung über das Referendum weisgemacht worden war, dass die Ladenöffnungszeiten nur um eine halbe Stunde verlängert würden.

DER VERFASSUNGSBRUCH

Die vorgängigen Verhandlungen über den neuen GAV bezeichnet die Unia als «beschämende Intrige». Sie vertritt gut 2000 Mitglieder im Verkauf. Trotzdem wurde sie ständig überstimmt von der christlichen Gewerkschaft OCST und zwei kleineren Organisationen, die keinerlei Verankerung im Verkauf haben. Zudem habe sich «auf mysteriöse Weise» die Zahl der Arbeitgeber in der Branche gegenüber den bisherigen Statistiken um fast die Hälfte verringert. Nur dadurch sei das Quorum von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden erreicht worden, das es für den Erlass eines allgemeinverbindlichen GAV brauche.

Die Unia beabsichtigt jetzt, gegen das neue Gesetz vor dem Bundesgericht zu klagen. Es verletze die Einheit der Materie, weil kantonale Gesetze (Ladenschlusszeiten) mit Bundesrecht (Arbeitsbedingungen) vermischt würden. Ihre Verknüpfung sei verfassungswidrig, hatte das Bundesgericht bereits in einem Fall im Kanton Neuenburg entschieden.


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