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Geothermie: Mutter Erde ist im Kern verdammt heiss. Können wir dies nutzen?

In Südtirol soll die weltweit ­erste 8000-Meter-Tiefenbohrung gemacht werden – für eine Geo­thermieanlage, die pro Jahr gut 20 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren soll. Energie für Sommer und Winter. Wenn’s klappt, dürfen wir uns freuen.

PREMIERE: Geohil will Erdwärme aus 8000 Metern Tiefe holen, dort ist es 240 Grad heiss. (Foto: iStock)

Das mit der Geothermie hat bisher in der Schweiz nicht so richtig geklappt. Bohren ist verdammt teuer. Was sich tief unter unseren Tischen und Betten versteckt, ist zudem unsicher. Und wer Wasser in den Fels presst, löst nicht selten lokale Erd­beben aus. Die Baslerinnen und die St. Galler haben damit bereits schlechte Erfahrungen gemacht.

Ein Unternehmen, das in der Vergangenheit wirtschaftlich auch schon auf die Nase fiel, ist Geohil. Aber aus Erfahrungen und Niederlagen kann man im zweiten Anlauf auch gescheiter werden. In den USA ist diese Strategie gesellschaftlich akzeptiert, in der Schweiz weniger.

Geohil-Ansatz 1: Die Gas- und Ölindustrie hat in den letzten Jahren neue Bohrtechniken entwickelt. Man kann diesen technischen Fortschritt absehbar auch für die Geothermie nutzen. Bohrungen in bis zu 8000 Metern Tiefe sollen neu relativ problemlos möglich sein. Pro 100 Meter mehr Land über Bohrkopf nimmt die Temperatur um 3 Grad zu.
In 8000 Metern unter dem Boden ist es somit mit mehr als 240 Grad Celsius heisser als in jedem Dampfkochtopf.

Geohil-Ansatz 2: Wer mit einem Bohrloch von 40 Zentimetern Durchmesser bis in diese Tiefe vorstösst, muss nicht zwei Löcher bohren. Das senkt die Kosten. Er oder sie muss das Wasser auch nicht durch Felsritzen pressen, um Wärme zu gewinnen. Will heissen: Die Wärme des Gesteins erwärmt das von diesem getrennt in die Tiefe wandernde Wasser. Dieses System senkt die Risiken.

Grau, liebe Leserinnen und Leser, ist alle Theorie. Deshalb startet Geohil in Brixen, im nahen Südtirol, absehbar die weltweit erste Geothermie-Bohrung in 8000 Metern Tiefe.

  • Im Jahr soll diese Anlage gut 20 Mil­lionen Kilowattstunden Strom produzieren. Bandenergie für Sommer und Winter. 500 solche Löcher, die je einen Radius von 500 Metern beanspruchen, würden so viel Strom produzieren wie das Atomkraftwerk Leibstadt. Der entscheidende Vorteil: Die Abwärme kann man nutzen, um dezentral unter anderem Wohnüberbauungen und Industrieanlagen zu versorgen.
  • So will Geohil die Abwärme im vorliegenden Fall an die Stadtwerke Brixen verkaufen.Die Testanlage in Brixen soll gut 50 Millionen Euro kosten. Wenn es klappt, sollen weitere Projekte folgen. Ein kleineres in Dietwil, Kanton Aargau. Und ein schwerer Brummer in ­Schweden, der so viel Strom wie das AKW Leibstadt produzieren würde.

Die Vorteile dieser Anlagen, wenn sie denn funktionieren sollten, über­zeugen:

Vorteil 1: Sie liefern permanent Strom und Wärme. Es gibt das Problem von Dunkelflauten (der Wind bläst nicht, und die Sonne versteckt sich) nicht. Das senkt den Bedarf an Batteriespeichern in jedem System.

Vorteil 2: Im Gegensatz zur Mittelland-Solarenergie wird die Hälfte des Stroms im Winter produziert. Aber: Bei der Windenergie sieht das Verhältnis noch besser aus. Und bei bifazialen alpinen Photovoltaik-Anlagen gleich gut.

Vorteil 3: Man muss nicht flächen­deckend Ölheizungen durch Wärmepumpen ersetzen, sondern kann die Wärme vielerorts dezentral nutzen.

Vorteil 4: Freundinnen und Freunde des Tier- und Landschaftsschutzes können aufatmen. Es besteht unter Tag keine Gefahr für Fledermäuse. Alles etwas zu schön, um wahr zu sein. Aber man soll sich ja auch überraschen lassen. Ein Tipp für die Klimajugend: Vielleicht sollte sie die übernächste Maturareise nach Brixen machen. Mit dem schnellsten Zug dauert die Fahrt ab Zürich nur gute 5 Stunden. Und wenn das mit dem 8000-Meter-Loch im ersten Anlauf nicht funktioniert, so hat Brixen immer noch ein ansprechend gutes Nachtleben.

Links zum Thema:

  • rebrand.ly/waermeschatz
    Die Welt aus dem deutschen Medienhaus Springer rutscht politisch immer weiter nach rechts. In Sachen Technik ist das Blatt aber immer wieder für Über­raschungen gut.
  • rebrand.ly/8000-meter
    Diese lokale Homepage berichtet eher etwas zurück­haltend über das Projekt.
  • rebrand.ly/nacht­leben
    Wenn das mit der Bohrung nicht so recht klappen sollte, können alle Klima­bewegten wenigstens in das Brixener Nachtleben eintauchen. Soll gar nicht so grottenschlecht sein.

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