Das World Economic Forum spürt den Greta-Effekt

Der doppelzüngige «Davos Man»

Marie-Josée Kuhn

Seit es das WEF gibt, huldigt dieser Privatclub der Weltenherrscher dem Raubtierkapitalismus. Damit soll nun fertig sein. Verkündet das neue Manifest zum 50. Geburtstag.

TEURE SHOW: Über 40 Millionen Franken an Steuergeldern benötigt das WEF für die Sicherheit. Davon berappt es gerade mal 2,5 Millionen selber. (Foto: Keystone)

Adieu, Milton Friedman! Gute Nacht, Chicago-Boys! Im neuen «Davos Manifesto» zu seinem 50. Geburtstag rechnet das WEF mit dem Shareholder-Kapitalismus der neoliberalen Denkschule ab. Deren Profitmaximierungs-Ideologie sei nicht nachhaltig genug. Das ist die brisante, aber späte Einsicht von WEF-Gründer Klaus Schwab («Ich bin der Chef-Zweifler der Welt»), 12 Jahre nach Beginn der grössten Kapitalismuskrise seit 1929. Etliche Immobilien-, Banken-, ­Finanz- und Eurokrisen später kommt die «Ideologiefabrik der internationalen Geldsäcke» (Jean Ziegler) zum Schluss: Der rein profitgetriebene Shareholder-Kapitalismus habe ausgedient. Adieu, Aktionäre! Guten Morgen, Stakeholder! Der Stakeholder-Kapitalismus, der allen was bringe, auch der Gesellschaft und nicht nur den Aktionären, sei «die beste Antwort auf die so­zialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit». So das Davos-Manifest (rebrand.ly/wef-manifest).

Diese Einsicht setze sich langsam auch weltweit durch. Unter anderem wegen des Greta-Effekts: «Die junge schwedische Klimaaktivistin hat uns daran erinnert, dass das derzeitige Wirtschaftssystem künftige Generationen um ihre Zukunft betrügt.» Das dürfe nicht sein. Konkret fordert WEF-Schwab: Unternehmen sollen ihren fairen Anteil an Steuern zahlen und dafür sorgen, dass die Menschenrechte in ihrer ganzen globalen Beschaffungskette eingehalten werden. Und die Managergehälter müssten sinken.

«Viele Mächtige haben das Gefühl, auf einem Pulverfass zu ­sitzen.»

VOM SAULUS ZUM PAULUS?

Was ist nur mit der kapitalistischsten aller kapitalistischen Messen los? Während Jahrzehnten huldigte das WEF der grenzenlosen Deregulierung, Privatisierung und Gewinnmaximierung um jeden Preis.

Noch 2008 sass auf der WEF-Ehrentribüne der Chef der US-Investmentbank Lehman Brothers. WEF-Gründer Klaus Schwab rühmte Richard Fuld als «einen der visionärsten Banker seiner Generation». Bereits 2009 ist derselbe Fuld angeklagt: die Bank geplündert und kriminell in den Konkurs getrieben zu haben. Lehman Brothers wird am 12. September 2009 liquidiert. Sie reisst Tausende von Gläubigern in den Abgrund. Auch in der Schweiz.

Seit Jahrzehnten legitimiert das WEF die bodenlose Arroganz und Gewinnsucht solcher «Fulds» durch seine «Theorien». Wird da ein Saulus plötzlich zum Paulus?

AUF DEM PULVERFASS

Die politische Temperatur steigt. Das konstatierte der Globalisierungsexperte Peter Niggli bereits 2012 in einem work-Interview zum WEF. Nun hätten «Wirtschaftsführer und Politiker vermehrt das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen». Und: «Neuerdings diskutieren Ökonomen und Politiker die Ungleichheit nicht mehr nur als Folge, sondern als Ursache der Krise. Weil die Kaufkraft sinkt. Weil die Verschuldung der Haushalte steigt. Weil die angehäuften Gewinne nicht mehr in Investitionen fliessen, sondern ins Finanzcasino. Vielen Mächtigen wird klar, dass sie aus der Krise nur rauskommen, wenn sie etwas gegen die Ungleichheit tun.» Ein gewisses Umdenken finde auch am WEF statt. Früher hätten sich die WEF-Weltenlenker um die sozialen Proteste foutiert. Heute würden sie sie immer mehr als bedrohlich empfinden.

Kann es sein, dass sich das WEF durch Greta Thunberg und die Klimabewegung heute einfach so sehr bedroht fühlt, dass das Wirtschaftsforum dem Raubtierkapitalismus endgültig abschwört? Globalisierungsexperte Niggli ist sich da nicht so sicher: «Es sind erfreuliche Zeichen. Aber sie machen aus dem WEF noch lange kein Welt­sozialwirtschaftsforum.» Das WEF habe ideologisch immer schon doppelzüngig gesprochen. Den Stakeholder-Kapitalismus, Schwabs Steckenpferd, gepredigt, aber dann doch dem Shareholder-Kapitalismus gedient. Das gehört zu den Ritualen in Davos.

DEALEN LOHNT SICH

Das Sein bestimmt bekanntlich das Bewusstsein: Das WEF ist inzwischen eine geschätzte 310 Millionen schwere Firma. Und sie spinnt ihr Gesinnungsnetzwerk über die ganze Welt, inklusive China. Vom Finanzentwicklungs-Ausschuss zum Cybersecurity-Ausschuss. Bis zu 600’000 Franken zahlen Unternehmen für ihre Mitgliedschaft. Pro Jahr! Von Nestlé über Novartis bis zur Credit Suisse leisten sich das auch «Schweizer» Konzerne gerne – aus der Portokasse. Denn für sie lohnt sich das Dealen hinter verschlossenen Davoser Luxushoteltüren allemal. Rein profitorientiert betrachtet. Der Gesellschaft, also uns Steuerzahlenden, bleiben dann die Schulden. So müssen wir auch dieses Jahr über 40 Millionen Franken für die Sicherheitskosten blechen. Denn die Ideologiefabrik der Geldsäcke übernimmt nur 2,5 Millionen Franken. So viel zur Idee des Stakeholder-Kapitalismus in der WEF-Praxis.


Klima-Protest Mit Wanderlust gegen das WEF

VON LANQUART BIS DAVOS. Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten wandern ans WEF. Dort treffen sich die schlimmsten Klimasünder der Welt.

Jetzt jetten sie wieder nach Davos, die Reichen und Mächtigen, um am Weltwirtschaftsforum (WEF) den «Zustand der Welt» zu verhandeln. Dieser hat sich auch nach 50 Jahren Elitetreff nicht gebessert, im Gegenteil. Kein Wunder, schliesslich gehören zum WEF etwa die Waffenschmiede Lockheed Martin, der Umweltzerstörer BP und der Ausbeuterkonzern Glencore.

WANDERN FÜRS KLIMA. Wer es wirklich ernst meint mit der «besseren Welt», kommt zu Fuss nach Davos. Das finden jedenfalls die Organisatorinnen und Organisatoren von «Strike WEF». Sie planen eine Winterwanderung, von Landquart über Schiers und Klosters nach Davos. Rund 47 Kilometer in drei Tagen, im Gepäck: die Forderung nach Klimagerechtigkeit. Schliesslich werde die Klimakatastrophe von den «weltweit 1000 grössten Unternehmen verursacht, die Mitglied beim WEF sind», heisst es im Wanderaufruf. Auch die Unia unterstützt den Klimamarsch nach Davos, die Unia-Jugend mobilisiert.

DAS «ANDERE DAVOS». Daneben bekommen die WEF-Eliten etwas Nachhilfe in Sachen Demokratie: Am 21. Januar veranstaltet die Klimajugend eine öffentliche Klimaversammlung in Davos. Offen für alle, anstatt im Geheimen hinter verschlossenen Türen. Im Unterland haben die Proteste schon begonnen. In Bern läuft eine Woche lang die traditionelle Gegenveranstaltung «Tour de Lorraine» mit Workshops, Referaten, Konzerten und Kunstin­stallationen zum Thema «Klimagerechtigkeit».

Und in Zürich organisiert die Bewegung für den Sozialismus (BFS) das «Andere Davos». Mit Inputs von internationalen Klimaaktivistinnen und -aktivisten, darunter der norwegische Volvo-Autoarbeiter Lars Henriksson und die deutsche Gewerkschafterin Bea Sassermann, Ex-Betriebsrätin beim Pharmariesen Bayer und Mitbegründerin der «Gewerkschafter*innen für Klimaschutz».

Und Klimaaktivistin Greta Thunberg? Sowohl die «Strike WEF»-Wanderung als auch das «Andere Davos» haben sie eingeladen. Ob sie kommt, ist bis work-Redaktionsschluss noch offen. Sicher ist: Am 17.  Januar nimmt sie in Lausanne am Klimastreik teil, der sein einjähriges Bestehen feiert. Und am WEF hält sie einen Vortrag. Titel: «Den Klima­kollaps abwenden». (pdi)

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