Was für ein bewegtes und bewegendes Jahr 2019 doch ist – und bald schon war! Wie ein lila Lauffeuer eroberte zuerst der Frauenstreik die Schweiz. Und dann stand plötzlich Greta Thunberg da, wie von einem anderen Stern, und rief: «Solange ihr euch nicht darauf konzentriert, was getan werden muss, sondern darauf, was politisch möglich ist, gibt es keine Hoffnung.» Und ihre Worte schlugen ein wie Blitze. Die Klimabewegung war geboren. Und wieder drängten gegen 100’000 Menschen auf die Strassen. Bern barst aus allen Nähten.
14. JUNI 2019: FRAUENSTREIK STEIGT. Historisch: mehr als eine halbe Million Frauen gehen 28 Jahre nach dem 1. Frauenstreik auf die Strasse. Und verlangen mehr Lohn, mehr Zeit und mehr Respekt! Die Stimmung ist heiter, die Power gross, es fliessen sogar Freudentränen. Und auch aus dem Bundeshaus kommt Verstärkung: CVP-Bundesrätin Viola Amherd winkt den Streikenden ebenso begeistert zu wie SP-Nationalratspräsidentin Marina Carobbio. (Foto: Monika Flückiger / Freshfocus)
18. JANUAR 2019: ROSA REDET. Zum hundertsten Todestag von Rosa Luxemburg gelang es work, ein Interview mit der grossen Revolutionärin zu führen. Exklusiv! Das war möglich, weil wir ihre Schriften studierten und das Interview gleich selber schrieben. Auf die Frage, wie sie den Kapitalismus zu bändigen gedenke, antwortete die Sozialistin: «Die Revolution ist grossartig, alles andere ist Quark!» (Foto: Keystone)
29. MÄRZ 2019: KESSLER GEHT. Baggerfahrer Roland Kessler sagt «Adieu, zäme!» Er ist der 20 000. Baubüezer, der mit 60 in die wohlverdiente Frühpensionierung gehen kann. (Foto: Franziska Scheidegger)
25. AUGUST 2019: PUTZFRAUEN STREIKEN. «Wir waren viel zu lange still!» sagen Spaniens Hotelzimmerfrauen. Und protestieren mit einem landesweit ersten Streik dagegen, dass sie sich «wortwörtlich kaputtarbeiten müssen». Und das zu Dumpinglöhnen. Und unter immer grösserem Zeitdruck. (Fotos: Cristina Pedrazzini)
23. JANUAR 2019: BUNDESRÄTE SCHARWENZELN. Das Weltwirtschaftsforum in Davos hat Jair Bolsonaro eingeladen. Der ist mit fragwürdigen Methoden Präsident von Brasilien geworden. Er ist ultrarechts und ultrareligiös. Seine Ansichten sind rassistisch, sexistisch und offen faschistisch. Das hindert die drei hartrechten Bundesräte Ueli Maurer (SVP), Guy Parmelin (SVP) und Ignazio Cassis (FDP) nicht daran, Bolsonaro untertänigst zu hofieren. (Illustration: Igor Kravarik)
26. JUNI 2019: RAPINOE TRIUMPHIERT. US-Fussball-Superstar Megan Rapinoe (34) ist mit ihrem lila bis pinkigen Haarschopf eine auffällige Kämpferin, nicht nur am Ball. Sie wehrt sich gegen Lohndiskriminierung im Frauenfussball, gegen Homophobie und Rassismus. Und sie gibt US-Präsident Donald Trump Saures: Sie werde zur Weltmeister-Feier nicht ins «fucking» Weisse Haus gehen, verkündete sie. (Foto: Keystone
BLEIERNE JAHRZEHNTE VORBEI. Endlich wollen die Jungen und viele Ältere wieder die Welt verändern. Nach bald dreissig Jahren neoliberaler Gehirnwäsche und Sparprogrammen ist das eine Wohltat. Der Vormarsch der Frauen-, Fremden- und Klimafeinde Trump, Orbán, Salvini & Co. hat eine Repolitisierung ausgelöst. Weil sich Geschichte nie linear bewegt. Weil es immer gleichzeitig vorwärts- und rückwärtsgeht. Oder umgekehrt.
Die neue Sonne ist rot-grün-pink. Das Sünneli war gestern.
2019 ist ein Wendejahr, zumindest in der Schweiz. Ein freudiges, denn endlich ist auch die harte rechte Mehrheit im Bundesparlament weg. Diese Phalanx aus FDP und SVP, die im Nationalrat vier Jahre zu lange die absolute Mehrheit hatte. Und ab dem ersten Tag sozialen und gesellschaftspolitischen Fortschritt verhindert hat. Seit den Wahlen ist Bundesbern jünger, weiblicher, grüner und linker geworden. Auch arbeitnehmendenfreundlicher. Das ist dringend notwendig, denn die Zeit drängt. Beim Klima ebenso wie bei der Altersvorsorge. Die Gletscher schmelzen fast gleich schnell wie unsere BVG-Renten. Deshalb braucht es den ökosozialen Umbau. Eine Umlagerung auf erneuerbare Energien und eine Umlagerung hin zur effizienten und sozialen AHV. Zudem: mehr Lohngleichheit und weniger toxische Männlichkeit.
28. SEPTEMBER 2019: DIE KLIMAWELLE ROLLT. Bumsvoll war Bern am Tag der nationalen Klimademo. Fast 100’000 Leute waren gekommen: Veganerinnen und Tierschützer, Klimajugendliche und Juso, Gewerkschafter und Biobäuerinnen. Denn: es brennt! Und nicht nur in den Wäldern des Amazonas. Auch in der Schweiz fühlen wir die Folgen der menschgemachten Klimaerhitzung schneller, als uns lieb ist. Deshalb fordert die Klimabewegung den Ausstieg aus der fossilen Energie bis spätestens 2030. (Foto: Rob Lewis)
19. APRIL 2019: ZIEGLER FEIERT. Seit 15 Jahren ist work-Kolumnist Jean Ziegler jetzt schon «unser Fensteröffner zur Welt». Jetzt wird der Wahlgenfer, der aus Thun kam, 85. Und mag immer noch kämpfen. Er sagt: «Gopferdeckel, ich finde es gut, den Gottesdienst zu stören!» work gratuliert Ziegler mit einer Hommage von Chefredaktorin Marie-Josée Kuhn. (Foto: Jean Revillard)
23. JANUAR 2019: GRETA FÄHRT EIN. Mit ihrem Auftritt am WEF betritt die junge Schwedische Klimaaktivistin die grosse internationale Bühne. Und wie! Ihr Auftritt macht die weltweite Klimastreikbewegung zum brennenden Albtraum der Umweltversauer. Die grossen Zeitungen verspotten die Jungen, die rechten Klimawandelleugner toben. Doch die Bewegung wächst. Greta Thunberg ist ihr Symbol. Und: Die Klimabewegung ist gekommen, um zu bleiben. Weil wir sonst alle gehen müssten. (Foto: Keystone)
22. SEPTEMBER 2019: LUCIDI WAGT ES. IWC-Arbeiterin Daria Lucidi und 17 Kolleginnen und Kollegen verlangen vom Luxusuhrenhersteller 350 Franken mehr Lohn. Denn
dieser zahlt viel schlechter als andere
Industriebetriebe. (Foto: Michael Schoch)
12. APRIL 2019: BREXIT SCHADET. Grossbritannien versinkt im Brexit-Chaos. Politisch und wirtschaftlich. Die britischen Realeinkommen sinken nunmehr seit 17 Jahren. Mit ein Grund: Die britische Regierung führte einst marktgläubig und ohne Lohnschutz die Personenfreizügigkeit ein. Das war ein Kapitalfehler. Als nämlich viele Lohnabhängige den damit verbundenen Lohndruck im eigenen Portemonnaie zu spüren bekamen, stimmten sie Ja zum Brexit. (Foto: Getty)
20. OKTOBER 2019: GRÜN UND FRAU GEWINNT. Der neue Nationalrat ist jünger, weiblicher – und grüner. Die Grünen gewinnen 17 Sitze dazu, das gab’s noch nie! Und: 84 von 200 Sitzen sind in der kommenden Legislatur in Frauenhand, so viel wie noch nie! 54 Prozent aller Neugewählten sind Frauen. Auch das gab’s noch nie! (Foto: Keystone)
27. SEPTEMBER 2019: KLIMA-UMAUPLAN STEHT. Eine CO2-freie Schweiz ist möglich. Und zwar bereits ab 2030. Und erst noch sozialverträglich. work präsentiert den ökosozialen Umbauplan in 19 Tafeln. (GaAfik: work)
NUR UMBAU OHNE SOZIAL GEHT NICHT. Weder beim Klima noch bei der Altersvorsorge. Das haben uns in diesem Jahr die Gilets jaunes in Frankreich und der britische Brexit gelehrt.
Die Gelbwesten: Was mit einem Blog gegen die Dieselsteuer begann, wurde in wenigen Wochen zur Forderung nach mehr Kaufkraft, dann zur Kritik an der Ungleichheit in der Gesellschaft. Eine soziale Revolte gegen Sozialabbauerpräsident Emmanuel Macron, der gleichzeitig die Reichen und Konzerne grosszügig beschenkt. Diese Rechnung geht nicht auf. Auch nicht ennet des Kanals. 2019 versank Grossbritannien im Brexit-Chaos. Wirtschaftlich und politisch. Selbst die britische Regierung weiss es: Der Ausstieg aus der EU schadet der Wirtschaft. Brexit ist Exit. Mehr noch: Er stresst und verunsichert, er stört den Schlaf, und er entzweit ganze Familien. So beschreiben es neuerdings britische Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Brexit ist zwar keine Diagnose, aber der Ursprung für psychisches Leiden. Und existentielles: Kopfüber und ohne Lohnschutz stürzte sich das Königreich ins Abenteuer Personenfreizügigkeit. Ein Kapitalfehler, wie sich immer deutlicher zeigt, denn der fehlende Schutz vor Sozialdumping war der Anfang vom Brexit.
17. MAI 2019: ALLEVA VERWARNT. «Finger weg vom Schweizer Lohnschutz!» fordert Unia-Chefin Vania Alleva und zeigt der Wirtschaftslobby und Bundesrat Ignazio Cassis die rote Karte. Im Alleingang gab dieser bei den Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU die Schweizer flankierenden Massnahmen gegen Lohndumping zum Abschuss frei. Nicht mit uns, sagten die Gewerkschaften. Und erhielten Sukkurs von 130 Persönlichkeiten aus ganz Europa. Inzwischen will das vorliegende arbeitnehmendenfeindliche Abkommen nur noch die ebensolche GLP.
29. NOVEMBER 2019: COSTA FEIERT. Zwei Jahre lang hat Bauarbeiter Adão Costa gemeinsam mit der Unia um seine Niederlassungsbewilligung gekämpft, die ihm zusteht. Doch das Migrationsamt in Sitten stellte sich quer. Doch nun kann der Bauarbeiter aus Portugal endlich feiern, denn der C-Ausweis ist ihm jetzt sicher. (Foto: Matthias Luggen)
17. Mai 2019: GOGER FÄLLT. Unia-Frau Christa Suter hat den grössten Lohndumpingskandal ins Rollen gebracht: Gipsermeister Kurt Goger hat seine Arbeiter systematisch geprellt. Jetzt kommt endlich der Haftbefehl. (Foto: Michael Schoch)
13. SEPTEMBER 2019: POSTAUSTRÄGER FREUEN SICH. lllegale Lohndrückerei und Schikanen, das war Alltag bei der Firma Epsilon in Genf. War! Dank dem Mut von Postausträger Andrès Arciniegas und José Serantes, die sich bis in die Teppichetage hinauf beschwerten, ist jetzt alles besser bei der Post-Tochter. Sie muss 600’000 Franken Löhne nachzahlen. (Foto: Pierre-Antoine Grisoni)
1. MAI 2019: MAILLARD KOMMT. Er unterschreibt stets mit PYM: Der neue SGB-Chef Pierre-Yves Maillard (51). Für den ganzen Namen hat er schlicht keine Zeit, denn er ist stets unter Strom. Im ersten halben Jahr als oberster Gewerkschafter hat der ehemalige Waadtländer SP-Regierungsrat bereits eine Überbrückungsrente für Ausgesteuerte angestossen, einen aufsehenerregenden BVG-Kompromiss mit Arbeitgeberchef Valentin Vogt aufgegleist und ein Treffen mit dem Hauptgegner des Schweizer Lohnschutzes in der EU organisiert. (Foto: Severin Nowacki)
DA IST DIE SCHWEIZ BESSER DRAN. Dank den Gewerkschaften. Sie haben den Schweizer Lohnschutz 2019 erfolgreich verteidigt. Und den SVP-hörigen Aussenminister Ignazio Cassis gestoppt. In den Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU bot der Tessiner den Schweizer Lohnschutz zum Abschuss an. Und befeuerte damit den Schwexit, den die SVP mit ihrer Kündigungsinitiative will. Wie brandgefährlich das ist, haben inzwischen selbst viele Bürgerliche begriffen und möchten Kamikaze-Cassis am liebsten aus dem Aussendepartement entfernen. Den Reset-Knopf, den dieser in der Europapolitik einst drücken wollte, haben 2019 nun andere gedrückt. Die neue Sonne ist rot-grün-pink. Das Sünneli war gestern. Nicht nur in der Europapolitik.
Man kann es sich kaum vorstellen, und trotzdem ist es so: Die Marktradikalen in der Schweiz und in der EU greifen den Schweizer Lohnschutz erneut an. Und wieder versuchen sie...
Schreibe einen Kommentar
Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.