Eine apokalyptische Reise durch Brasilien

Der Amazonas brennt

Sandra Weiss, Porto Velho, Brasilien

Seit Wochen steht der grösste Regenwald der Welt in Flammen. Reporterin Sandra Weiss war im Amazonasgebiet unterwegs.

ZERSTÖRUNG. Tag und Nacht lodern die Waldbrände im Regenwald. (Foto: Keystone)

Die Strasse zwischen Porto Velho und Rio Branco führt mitten durch das Amazonasgebiet. Wer sich jetzt dichten Dschungel und Schlammpisten vorstellt, liegt daneben. Es ist eine zweispurige Teerstrasse, und der Bus fährt acht Stunden hauptsächlich Rinderweiden entlang. Nachts sehe ich die lodernden Flammen von ausser Kontrolle geratenen Brandrodungen. Aus prachtvollen Paranusskastanien werden über Nacht schwelende Baumstümpfe – die Abholzerfront hat sich eine weitere Weidefläche erbrannt. Der Bus bahnt sich seinen Weg durch Rauchschwaden, die die aufgehende Sonne vernebeln. Es wirkt apokalyptisch.

MONOTON. Zwei Wochen lang bereise ich Brasilien, spreche mit Menschen und versuche zu verstehen, was im grössten Tropenwald der Erde vor sich geht. Tagsüber klettert das Thermometer auf 42 Grad. Während mein Blick aus dem Busfenster in die trostlose landschaft­liche Monotonie schweift, male ich mir in Gedanken die mühevolle Suche nach einem Schattenplatz aus, sollte der Bus eine Panne haben. Meine Mitreisenden lassen solche Phantasien kalt. «Meine Eltern bekamen vor 40 Jahren hier von der Regierung ein Stück Land mit der Auflage, es zu roden», erzählt mir meine junge Sitznachbarin. «Dann wechselte die Regierung, und es hagelte Strafen für Brandrodungen, aber Präsident Jair Bolsonaro ist wieder auf unserer Seite.» Bäume fällen, Land urbar machen und möglichst schnell zu Geld kommen ist mehr oder weniger das einzige, was die aus ganz Brasilien zugewanderte Bevölkerung im Amazonasbecken eint. Davon zeugen die lieblos-funktionalen Schachbrettstädte, in denen es viel Kommerz, aber keine Kultur gibt, viele klimatisierte Betonbunker, aber kaum begrünte Parks, viele laute Pfingstkirchen, aber wenig Universitäten.

HORROR: Ein Bauer läuft mit seinem Hund in der Nähe von Porto Velho über das versehrte Land. In der Hoffnung auf Reichtum brandroden die Bauern den Wald – doch der Traum vom grossen Geld wird nur für die wenigsten wahr. (Foto: Getty)

GOLDADER. Ich treffe Multimillionäre, die den Tropenwald für eine Goldader halten und von noch mehr Soya und noch mehr Rindern träumen und dabei vor allem auf China als Abnehmer hoffen. Doch der Traum vom Reichtum wird für die wenigsten wahr. Nur für diejenigen, die sehr viel des kargen Bodens besitzen und darauf sehr viele Rinder weiden lassen oder mit Unmengen von Dünger und Pestiziden Soya anbauen. Für sie gibt es Kredite, Silos, Schlachthöfe, Häfen, Zwischenhändler. Die Gier liegt im System. Die anderen, die auf wenigen Hektaren Nahrungsmittel für den inländischen Markt anbauen oder alternative Regenwaldprodukte wie Kautschuk oder Öle, können ihre Produkte kaum verkaufen.

WERTLOS. Ganz zu schweigen von den Indianern, den einzigen, die wirklich wissen, im und vom Wald zu leben. Sie sind dem kommerziellen Kreislauf nicht eingegliedert und deshalb für Regierung und Unternehmer nichts wert. Wohl aber ihre Schutzgebiete, die jetzt zerstört werden. Bolsonaro befand: «Zu viel Land für so wenig Menschen.» Für Cledson Pitana eine Kriegserklärung. Der Chef der indigenen Karitiana wirkt besorgt, als ich ihn befrage, aber nicht fassungslos: «Angst haben wir nicht. Wir kämpfen schliesslich schon seit Generationen für das Land, das eigentlich schon immer uns gehörte.»


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