Unia Berner Oberland: Delegierte wählen Präsidenten ab

«Wir haben genug vom Gschtürm»

Clemens Studer

Die Wirren in der Unia Berner Oberland machen national Schlagzeilen in der bürgerlichen Presse. Jetzt haben die Delegierten den Präsidenten abgewählt. Basismitglieder sagen, wie es dazu kam.

JA, DS OBERLAND! Logo auf dem Hut der Unia Berner Oberland. (Foto: mjk)

6. April 2019, 9.30 Uhr, Restaurant Freienhof, Thun: Die Delegiertenversammlung (DV) der Unia Berner Oberland beginnt. Regiopräsident Hans Ulrich Balmer eröffnet die Versammlung mit einer Brandrede. Darin wiederholt er die Vorwürfe gegen die Unia-Zentrale, die er seit rund einem Jahr auch in der Lokalpresse und am Tag der DV in der «Schweiz am Wochenende» aus dem Aargau verbreitet (siehe Kasten unten). Ebenfalls in dieser Zeitung kündigt er an, was er nach seiner Rede tut: Balmer verlässt mit sechs Getreuen die Versammlung. Die Delegierten übertrugen daraufhin das Tagespräsidium an Giuseppe Reo, Regiosekretär ad interim. Und für die Wahlgeschäfte an Unia-Präsidialsekretär Philipp Müller.

SACHLICHE DISKUSSIONEN

So laut der Auftakt war, so ruhig, konzen­triert und gesittet ging die Versammlung dann weiter. Walter Fischer, pensionierter Zimmermann und Schreiner, Gewerkschafter seit 1964, sagt zu work: «Nach dem Auszug des Präsidenten waren die Diskussionen sachlich, korrekt und ohne Provokationen. Man liess sich gegenseitig ausreden.» Fischer war es, der im Auftrag seiner Ortsgruppe «Brienz-Oberhasli» den entscheidenden Antrag einbrachte: Der bisherige Präsident soll per sofort sowohl als Präsident ausscheiden wie auch aus «allen sonstigen Ämtern innerhalb und ausserhalb der Unia im Namen der Unia». Die Delegierten stimmten mit 46 gegen 6 Stimmen und 1 Enthaltung zu. Ein klares Votum der Basis!

Präsident Balmer wurde mit 46
gegen 6 Stimmen abgewählt.

KONSEQUENZEN ZIEHEN

Die Wirren der letzten Monate ärgern Fischer und seine Kolleginnen und Kollegen vor allem aus zwei Gründen: «Sobald wir uns mit den Unstimmigkeiten näher befassten, sahen wir, wie viel Unehrlichkeit im Spiel war. Da wollten wir als Ortsgruppe die Konsequenzen ziehen.» Und: «Das ganze Gschtürm hat die gewerkschaftliche Arbeit behindert. Davon hatten wir genug.» Als Basismitglied kennt Fischer den abgewählten Präsidenten Balmer, der ebenfalls seit Jahrzehnten in der Gewerkschaft ist, «nur aus Versammlungen».

Chantal Zürcher dagegen erlebte Präsident Balmer als Vorstandmitglied hautnah. Und das vergangene Jahr ging der Präsidentin der Ortsgruppe «Spiez / Aeschi / Krattigen» besonders nahe. Zu work sagt die Frau, die als Sozialbegleiterin arbeitet: «Irgendwann habe ich gemerkt, dass eine parallelle Struktur entstanden war. Ich erfuhr nicht mehr alles. Da habe ich angefangen, ganz hartnäckig nachzufragen.» Als sie sich weigerte, die vom Präsidenten vorgeschlagenen Kandidaten statutenwidrig zu wählen, sei sie per SMS übel beschimpft worden. Zürcher: «Es gab sogar einen langjährigen Kollegen, der mir die Freundschaft aufkündigte. Das ging schon an die Substanz.» Aber, so Zürcher weiter: «Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, sind es Unehrlichkeiten und Ungerechtigkeiten. Da muss ich mich einfach wehren!»

Chantal Zürcher bleibt im Regiovorstand. Auch sie hofft: «Jetzt können wir nach vorne schauen und uns endlich wieder für unsere wichtigen gewerkschaftlichen Kampagnen einsetzen.»

EIN KRÄNZCHEN FÜR DAS SEKRETARIAT

6. April 2019, 13.50 Uhr, Restaurant Freienhof, Thun: Eine denkwürdige Delegiertenversammlung der Unia Berner Oberland ist zu Ende. Den Delegierten ist die Erleichterung anzumerken. Chantal Zürcher liegt eines besonders am Herzen: «Ich möchte den Mitarbeitenden auf dem Sekretariat ein grosses Kränzli winden. So, wie diese Kolleginnen und Kollegen während des vergangenen Jahres arbeiten mussten, war einfach kein Zustand. Dass sie trotzdem ihr Bestes taten, kann man ihnen nicht hoch genug anrechnen!»

Konflikt im Oberland: Darum geht es

Seit rund einem Jahr herrscht in der Berner Oberländer Unia-Einheit eine angespannte Situation. Formal entzündete sich der Konflikt an der Wahl einer neuen Leitung vor einem Jahr. Zum ersten Mal in der Unia-Geschichte scheiterte diese. Der Regionalpräsident liess die Delegierten ohne statutenkonformen Wahlvorschlag eine Wahl durchführen.

BESCHWERDEN. Mehrere Delegierte reichten dagegen Beschwerden ein, die später von der Beschwerdekommission – einem unabhängigen Gremium von Milizmitgliedern aus allen Unia-Regionen – gutgeheissen wurden. Als die nationale Geschäftsleitung die Kandidaten nicht als Regiosekretäre anstellte, ging der unterdessen abgewählte Präsident und weitere Vorstandsmitglieder mit immer neuen Vorwürfen an die Öffentlichkeit.

 


Wirren im Berner Oberland:  Was nun, Frau Alleva?

Unia-Chefin Vania Alleva zu den neusten Entwicklungen in der Unia-Region Berner Oberland.

work: Frau Alleva, ist der Konflikt im Berner Oberland mit der Abwahl von Hansueli Balmer gelöst?
Vania Alleva: Nein. Es wäre falsch zu glauben, das Problem liege nur bei einzelnen Personen. Für mich ist der Konflikt Ausdruck einer grundsätzlichen Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

Unia-Präsidentin Vania Alleva. (Foto: Peter Mosimann)

Was meinen Sie damit?
Wir sind eine breit aufgestellte ­Organisation mit gegen 200’000 Mitgliedern aus über 100 verschiedenen Branchen. Unsere Basismitglieder mit all ihren vielfältigen Interessen sollen die Orientierung der Unia bestimmen. Dafür haben wir eine komplexe Struktur von Milizgremien mit starken demokratischen Rechten. Gleichzeitig müssen wir für ein professionelles Funktionieren sorgen. Nur so können wir die von unserer Basis gesetzten Ziele auch erreichen. Es ist kein Zufall, dass der Konflikt im Berner Oberland an der Nachfolgefrage um die Leitung der Region aufgebrochen ist. Eine Regiosekretärin, ein Regio­sekretär muss beides können: die demokratischen Ambitionen der Basis verstehen und das professionelle Funktionieren der Unia-Mitarbeitenden sicherstellen. Darum gibt es jeweils eine Auswahlkommission, die die besten Kandidatinnen und Kandidaten nach professionellen Kriterien vorschlägt.

Und eine Wahl durch die regionale Delegiertenversammlung (DV), welche die Verankerung in der Basis sicherstellt. Die notwendige Anstellung durch die nationale Geschäftsleitung sollte dann eigentlich nur noch eine Form­sache sein. Für all das braucht es eine optimale Verständigungsleistung aller Beteiligten. Sie ist in diesem Fall leider gescheitert.

Wie geht es jetzt weiter im Berner Oberland?
Die Delegierten im Oberland haben sich dafür ausgesprochen, dass interne Meinungsverschiedenheiten auch intern ausgetragen werden und dass die Stärkung der Gewerkschaftsarbeit und der Mobilisierungsfähigkeit im Zen­trum steht. Das verpflichtet uns alle. In diesem Sinn möchte ich nach vorne schauen. Ich wünsche mir, dass unsere aktiven Mitglieder ihre Energie wieder in die gewerkschaftspolitische Debatte investieren können. Und gleichzeitig müssen wir die entstandenen Lücken im Profiapparat mit guten Leuten füllen. Aber es wäre ein Fehler, jetzt einfach zur Tagesordnung überzugehen. Ein solcher Konflikt hinterlässt immer Verletzungen, das tut mir leid. Es wurden von allen Seiten Fehler gemacht. Daraus müssen wir lernen, um wieder konstruktiv zusammenarbeiten zu können.

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