Eric Ducrey ist alleinerziehender Vater. Längere Arbeitstage, wie es die Baumeister wollen, kommen für ihn nicht in Frage. work hat ihn am Bauprotest in Freiburg getroffen.
DEM SOHN ZULIEBE: Bauarbeiter Ducrey wehrt sich gegen die Baumeister-Pläne. (Foto: Manu Friedrich)
Freiburg, Dienstagmorgen, 8 Uhr 15: Der Wind pfeift, es schüttet und schneit. Im Festzelt auf der Place Python ist es heiterer. Hunderte Bauarbeiter sitzen auf Holzbänken, es wird geredet und gelacht. In den Kartonbechern dampft der Kaffee, die Proteststimmung steigt.
Für Kaffee hatte Eric Ducrey noch keine Zeit. Er steht draussen auf dem Platz. Graue Mütze, blaue Augen, einen schwarzen Faserpelz über die Thermowäsche gezogen. An jedem anderen Arbeitstag sitzt er auf seinem Brecher. Neun Stunden am Tag bedient er die riesige Maschine, mit der altes Baumaterial zu neuem verarbeitet wird. Da wird aus Beton zum Beispiel Kies. Das Rumpeln und Rütteln geht in die Knochen.
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Heute ist Ducrey einer der Protestführer. Zusammen mit rund 550 anderen Bauarbeitern bereitet er sich auf die Demo vor. Wie die Kollegen in Neuenburg, im Wallis und im Jura. Auch dort stehen die Baustellen still. 1500 Arbeiter sind im Ausstand.
Ducrey ist schon seit Stunden auf den Beinen. «Um 2 Uhr nachts sind wir los», erzählt er. Ab da ging alles Schlag auf Schlag: Protestplakate aufhängen, Baustellen abklappern, Kollegen abholen. Dazwischen ein Telefon nach Hause: der Weckruf für seinen 12jährigen Sohn. «Eigentlich steht er schon von selber auf», sagt Ducrey und lächelt. Aber er rufe eben trotzdem immer noch an. Auch einfach, um ein bisschen zu reden. Das ist ihr gemeinsames Morgenritual.
Seit zwei Jahren ist Eric Ducrey alleinerziehender Vater. Und Zeit mit seinem Sohn ein knappes Gut. Jetzt wollen die Baumeister davon sogar noch mehr stehlen. Ihre Vorstellung: Bei gutem Wetter und guter Auftragslage sollen die Arbeiter bis zu 200 Überstunden anhäufen und dann, bei Schlechtwetter oder Auftragsflaute, kompensieren. De facto hiesse das: Arbeitstage mit bis zu 12 Stunden würden normal. Ohne dafür mehr Geld zu erhalten. Den Überstundenzuschlag wollen die Baumeister nämlich auch gleich streichen. Ducrey schüttelt den Kopf: «Was die Patrons wollen, ist unmöglich!» Für ihn sei es jetzt schon schwierig, alles unter einen Hut zu bringen. Auch wenn sich Vater und Sohn gut organisiert haben, mit Schulkantine, Freunden und der Tagesmutter. Aber Ducrey weiss: «Schon eine Arbeitsstunde mehr würde alles umwerfen.»
«Eigentlich würde ich gerne Teilzeit arbeiten.»
VERALTETE GESCHLECHTERBILDER
Eigentlich würde er gerne Teilzeit arbeiten. Aber: Teilzeitarbeit gibt es auf dem Bau nicht – das verhindern die veralteten Geschlechterbilder. Da heisst es: «Richtige» Männer arbeiten 100 Prozent, während die Frauen zu den Kindern schauen.
«Mit der Realität hat das schon lange nichts mehr zu tun», sagt Ducrey. Das sei nicht nur bei ihm so, sondern auch bei seinen jüngeren Kollegen. Aber die Chefs wollten davon nichts hören.
Deshalb setzt sich Ducrey auch für Gleichstellung ein. Im September war er an der grossen Lohngleichheitsdemo in Bern, zusammen mit seinem Sohn. Ein tolles Erlebnis sei das gewesen! Sein Sohn verstehe gut, was los sei. Auch beim Protest auf dem Bau. «Er begreift, dass es darum geht, dass sein Vater weiterhin rechtzeitig nach Hause kommen kann.»
SCHÄBIGER UMGANG MIT BÜEZERN
Ducrey wehrt sich nicht nur für sich und seinen Sohn. Er sagt: «Die anderen Bauarbeiter sind meine Kollegen. Ich will etwas machen für sie.» Besonders hässig macht ihn, dass immer mehr Ü50-Arbeiter auf die Strasse gestellt werden: «Diese Männer haben ihr Leben und ihre Gesundheit für die Firmen gegeben. Sie haben dieses Land gebaut. Und dann bekommen sie die Kündigung. Das ist respektlos.»
Weil viele dieser Stellen nicht neu besetzt würden, herrsche mittlerweile Personalmangel. Das sei die Strategie der Chefs: immer weniger Büezer für gleich viel Arbeit. Dafür längere Arbeitstage, vor allem im Sommer. Das sei gefährlich. Wenn das Thermometer 35 Grad zeige, dann sei das auf der Baustelle wesentlich mehr: «Die Maschinen, der Teer, die Hydraulikschläuche – das alles heizt auf.» Trotzdem: Sie würden arbeiten, bis es nicht mehr gehe. «Ich habe ein einziges Mal gestoppt. Da hatte ich 60 Grad in der Kabine.» Das müssten die Patrons endlich verstehen.
Mit seinen Überstunden für das schlechte Wetter bezahlen – das kommt für Ducrey und seine Kollegen jedenfalls nicht in Frage: «Gesund bleiben und Zeit für die Familie – das ist, was wir wollen!» Weil die Baumeister nicht zuhören, wird nun eben protestiert.
Sogar Baufirma kritisiert: «SBV zu ideologisch»
Auch unter den Baumeistern wächst der Ärger über die weltfremde Politik ihrer Funktionäre.
UNTER BESCHUSS: Baumeisterverbandschef Gian-Luca Lardi. (Foto: Keystone)
Die Neuenburger Baufirma Facchinetti SA hält nichts von der Forderung des Baumeisterverbands (SBV) nach mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit. Diese sei «ideologisch», kritisiert sie in einem Brief an ihre Vorarbeiter. Der Brief liegt work vor. Direktor Claude Conrad: «Wir unterstützen diese Forderung nicht. Die heutige Flexibilität genügt bei weitem.» Klarer könnte man es nicht sagen. Das Dokument beweist, dass längst nicht alle Firmen die weltfremde Politik ihrer Verbandsspitze gutheissen. Besonders, wenn sie zu solch mächtigen Protesten auf den Baustellen führt. In den letzten Tagen gingen Tausende erboste Bauarbeiter in der Westschweiz und im Tessin auf die Strasse. Sie wollen keinen 12-Stunden-Tag, und sie wollen auch kein Lohndumping durch ausländische «Praktikanten», bei denen kein Mindestlohn mehr gelten soll, wie das der SBV absurderweise vorschlägt.
«Die heutige Flexibilität genügt
bei weitem.»
ERPRESSERISCH. In den nächsten Tagen rollt die Protestwelle der Bauarbeiter weiter. Aktionen in der Deutschschweiz stehen auf dem Programm. Die Wut über die Baumeister und ihren erpresserischen Kurs in den Verhandlungen zum Landesmantelvertrag ist riesig. Im Wallis war es das erste Mal seit vielen Jahren, dass Bauleute den Pickel weglegten. Dabei liegt eine Einigung in Griffweite. Die Sanierung der Frührente mit 60 ist eigentlich unter Dach. Dank dem Entgegenkommen der Gewerkschaften: Die Bauleute übernehmen die Kosten der Sanierung mit höheren Beiträgen (+ 0,75 Lohnprozent oder rund 40 Franken). Im Gegenzug gibt’s ab 2019 eine Lohnerhöhung von 150 Franken. Statt endlich einzulenken, nimmt der SBV lieber ein Chaos auf den Baustellen in Kauf. In Zirkularen fordert er dazu auf, dass «Störer» ferngehalten, gefilmt und namentlich notiert werden sollen. Demgegenüber hält die Unia fest, dass die Gewerkschaften ein Recht auf Zutritt zum Betrieb hätten. Dies hat unlängst das Bundesgericht in einem Fall aus dem Tessin festgehalten.
Weiterhin führt der Baumeisterverband die Medien mit Fake News an der Nase herum. So verkündete er vor kurzem, eine Lösung zur Sicherung der Rente mit 60 liege auf dem Tisch. Verlor dabei aber kein Sterbenswörtchen über die massiven Verschlechterungen, die er für einen Vertragsabschluss zur Bedingung macht. Es ging einmal mehr darum, die Gewerkschaften als Verhinderinnen anzuprangern. Am 9. November steht die nächste Verhandlungsrunde an. (rh)
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