Eine Revolte kaschiert eine andere

Meuterei der Gelbwesten

Oliver Fahrni

Zehntausende Französinnen und Franzosen blockieren immer wieder Strassen, Kreuzungen und Raffinerien. Das steckt hinter dem Protest gegen die Dieselsteuer.

«ICH REBELLIERE»: Die Bewegung der Gelbwesten richtet sich gegen Präsident Macrons Politik, von der hauptsächlich die Reichen profitieren. (Foto: Keystone)

Zuvorderst prügelte auf den Champs-Elysées ein offenbar gut organisierter und ausgerüsteter Trupp in gelben Warnwesten. Sie zündeten Elektroscooter an, rissen Steine aus dem Pflaster, errichteten brennende Barrikaden. Am Abend des 24. November gab es Dutzende Verletzte, und die Pariser Renommiermeile sah mitgenommen aus.

Die Identifikation der auffälligsten Täterinnen und Täter fiel leicht. Sie brüllten Slogans gegen die Regierung: «Macron démission», Macron soll ab­treten, aber auch gegen Ausländer, Schwule und Feministinnen, gegen ­Medienleute und Muslime. Und sie schleppten Monarchistenfahnen und die Banner katholischer Fundamentalisten mit. Eindeutig Rechtsradikale aller Couleur. Ihre politischen Sprachrohre wie etwa Marine Le Pen feierten im TV und auf den sozialen Medien den «Aufstand des Volkes».

Die Dieselsteuer soll die Abschaffung der Reichtumssteuer finanzieren.

GEHEIMDIENST SCHLÄGT ALARM

Der französische Inlandgeheimdienst schlug Alarm, Innenminister Christophe Castaner bemühte einen Vergleich mit dem Ende der Weimarer Republik. Tenor: Dumpfe Kleinbürger marschieren für Rechtsaussen. Seit dem 17. November blockieren Zehntausende von Französinnen und Franzosen immer wieder Strassen, Kreuzungen und Raffinerien. Ihr Erkennungszeichen sind die fluoreszierenden gelben Westen, die im Supermarkt für 5 Euro zu haben sind.

Was den Gewerkschaften gegen das Arbeitsgesetz, die Abschaffung des Eisenbahnerstatuts und andere neoliberale Angriffe von Macron nicht lange genug gelungen war, scheint nun also die Rechte per Internet leicht zu schaffen: «Wir machen den Verkehrsinfarkt», sagte ein Teilnehmer des Protests in die Kameras, «bis Weihnachten oder bis Macron fällt.»

Äusserer Anlass des Aufruhrs ist eine neue Steuer auf Dieseltreibstoff. Sie soll 4 Milliarden Euro einspielen und ist als Ökosteuer deklariert. Also sind die Gelbwesten Autofreaks und anti-ökologisch, wie der Regierungschef verbreiten lässt. Alles klar?

SINKENDE KAUFKRAFT

Das ist so sicher nicht. Die Dieselsteuer ist keine Ökosteuer. Sie soll nach offi­zieller Auskunft zu drei Vierteln ins ­allgemeine Budget fliessen. So kann Macron die Abschaffung der Reichtumssteuer finanzieren. Hört man genauer in die Demos hinein, ertönt zuerst ein harsches «Ras-le-bol»: Schnauze voll! Von der Dieselsteuer? Na, vielleicht auch, aber vor allem von der sinkenden Kaufkraft; die neuesten Statistiken zeigen scharfe Verluste bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung. Und von anhaltender Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Schwierigkeit, mit einem Volljob über die Runden zu kommen. 20 Prozent der Franzosen verzichten inzwischen auf eine ärztliche Versorgung. Schnauze voll vor allem von einem Präsidenten, der den Reichsten gibt und allen anderen nimmt.

Schnauze voll von Macron, der den Reichsten gibt und allen anderen nimmt.

GEWERKSCHAFTEN REAGIEREN

Gewerkschaften und Linke haben dies erkannt, ihnen ist klar, dass viele ihrer Mitglieder bei den Gelbwesten dabei sind. Und dass die Rechtsradikalen, zumindest vorläufig, in der Minderheit bleiben. Der sozialliberale Gewerkschaftsbund CFDT und die Sozialisten schlugen eine nationale Konferenz über den ökologisch-sozialen Umbau vor. ­Macron sagte schroff: «Non et non.»

Bei der Gewerkschaft CGT hat man die Linien klar definiert: «Wir marschieren nicht mit den Rechten. Aber die Gelbwesten sind eine sehr viel breitere Bewegung. Wir sind dabei, wenn es um Kaufkraft und Löhne geht.» In Südfrankreich blockieren sie jetzt zusammen eine Raffinerie von «Total». Einer der Gelbwesten dort sagt: «Wir werden doch nicht so blöd sein und die soziale Revolte den Rechten überlassen.»


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