Editorial

Der Stolz der Bauarbeiter

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Sie bauen die Schweiz, und sie bauen Brücken: die Bauarbeiter. Zum Beispiel haben sie jetzt grad die Berner Kirchenfeldbrücke saniert. Sieben Monate lang haben sie dort gerüstet, gebohrt, gespritzt, gehämmert und asphaltiert. Und die müden von den 250’000 Nieten ersetzt, die den Stahl zusammen­halten. Dicht verfolgt vom Berner Fotografen Alexander Egger. Er ist ihnen mit seiner Kamera auf die Kelle gerückt. Das Resultat, das work auf den Seiten 8–9 präsentiert, sind hautnahe Bilder vom Schweiss der Arbeit. Bilder, auf denen es pflotscht, stinkt und spritzt. Und bei deren Anblick es uns schwindelt: 30 Meter über der Aare hängt einer am Seil, ganz orange und ganz klein, steht auf einem schmalen Steg im Eisenmonster: es ist der Gerüstbauer. Wow! Immer wenn er auf eine Baustelle komme, erzählt Egger, wollten sofort drei, vier Büezer aufs Bild: «Die sind stolz auf ihre Arbeit», sagt der Fotograf. Kein Wunder, ihre Leistung ist lebenswichtig, über ihre Arbeit können wir fahren, in ihrer Arbeit können wir wohnen.

Kein Wunder, sind sie wütend!

DICKER HUND. Ihr kaputter Rücken ist die Kehrseite ihres Stolzes: Bauarbeiter leben gefährlich und ­sterben früh. Im Schnitt erleidet ein Bauarbeiter alle fünf Jahre einen Unfall. 40 Prozent der Bauarbeiter im Alter von 40 bis 65 Jahren werden invalid. Nur zwanzig Prozent erreichen das Rentenalter 65 gesund. Dass die Baubüezer seit 2003 mit 60 in die Frühpension gehen können, ist denn auch die grosse soziale Errungenschaft der letzten Jahrzehnte.

Erkämpft haben sie sich die Bauarbeiter zusammen mit den Gewerkschaften. Dass die Baumeister diese Errungenschaft jetzt aufs Spiel setzen – und ent­weder das Rentenalter erhöhen oder die Renten senken wollen –, ist deshalb ein dicker Hund. Kein Wunder, sind die Arbeiter hässig und enttäuscht, wie etwa jene des Bauriesen Marti. In Zürich hat work-Redaktor Ralph Hug eine Versammlung besucht. «Keine Lohnerhöhung, aber noch länger arbeiten – das ärgert die Bauleute masslos», schreibt er auf Seite 3. Auch die Marti-Leute wollen sich jetzt wehren. Ab 1. November beginnen in der Deutschschweiz die Bau-Protesttage.

Schon augenfällig: Der Baumeisterverband ist ausser Rand und Band. Am Verhandlungstisch um die Erneuerung des Gesamtarbeitsvertrags zaubert er ständig neue und immer absurdere Forderungen aus dem Hut (Seite 3). Dabei kommt bei den Meistern die ­Polemik neuerdings vor der Sachkenntnis. Das Brückenab­reissen vor dem Brückenaufbauen.

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