Massendemos und Streiks in Frankreich

Aufstand gegen Macron

Oliver Fahrni

Hunderttausende gehen gegen Präsident Macron auf die Strasse. Und die Eisenbahner streiken. Für viele ist es der «Aufstand der letzten Chance».

ES REICHT! Die Menschen in Frankreich haben die Nase voll von Macrons Sparpolitik. (Foto: AFP)

Über Frankreich hängt das soziale Ressentiment seines Präsidenten wie ein giftiger Nebel. Wann immer er oder einer seiner Minister das Wort ergreift, hört Frankreich, wer schuld hat, am Zustand des Landes: Die Armen. Die Arbeitslosen. Die ­Beamten. Die Gewerkschaften. Die Flüchtlinge. Die Alten. Die Faulen. Die Eisenbahner und ihre Privilegien. Die Liste ist nicht abschliessend (siehe «Leute, die nichts sind»).

DIE FIRMA FRANKREICH

Die Macronisten sehen Frankreich als Firma. Seit zehn Monaten sind sie daran, die «Macron Company» für die Besitzenden profitabler zu machen.

Macrons erste Baustelle war das Arbeitsrecht. Er schleifte im vergangenen Jahr den Kündigungsschutz und die 35-Stunden-Woche, stutzte die Rechte der Gewerkschaften und öffnete prekären Jobs Tür und Tor. Der Widerstand gegen die «Reform» brach zusammen, weil der grosse ­sozialdemokratische Gewerkschaftsbund CFDT und die Dachorganisation Force ­Ouvrière (FO) aus der Gewerkschaftsfront ausscherten. Das war Macrons Methode geschuldet. Er liess die Gewerkschaften einzeln zu «Konsultationen» empfangen. Jede bekam nur Bruchstücke des neuen Gesetzes zu sehen. Der Präsident verordnete es per Dekret.

Hier war schon alles vorgezeichnet, was Macron seither im Eilschritt absolviert. Privatisierungen. Massive Steuersenkungen für Konzerne und die Superreichen. Der Abbau des Service public. Eine Menge repressiver Verordnungen, gegen Arbeitslose etwa. Und ein brutales Sparprogramm. Allein die Städte müssen 23 Milliarden Franken sparen. Das ganze neoliberale Programm. Nur verschärft.

«Wir kämpfen gegen die soziale Not und für den Service public.»

AUSNAHMEZUSTAND

Vom schwachen Widerstand gegen das Arbeitsgesetz ermutigt, attackiert Macron nun die Eisenbahner. Sein Kalkül dabei ist einfach: Bricht er ihnen das Genick, bricht er jeden Widerstand. Denn die Eisenbahner spielen in der französischen Geschichte eine besondere Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sie mit Streiks fortschrittliche Sozialgesetze durch. 1995 zwangen sie mit einem monatelangen Streik den damaligen Präsidenten Jacques Chirac in die Knie.

Doch Macrons Tricks verfingen diesmal nicht. Die geeinten Eisenbahnergewerkschaften reagieren mit Streik: Am 22. März war Generalprobe. Viele Züge standen still. Ab dem 3. April treten sie in einen sogenannten Flatter-Ausstand (zwei Tage Streik, fünf Tage Arbeit). Sollte Macron seinen Plan durchziehen wollen, die rentierende Staatsbahn SNCF noch brutaler auf Profit zu trimmen, drohen sie, das Land ganz stillzulegen.

GEEINT GEGEN DIE «MACRONIE»

Die Gewerkschaften eröffneten mit 180 Demos im ganzen Land das Kräftemessen. Morgens um 6 Uhr in der Kantine des Marseiller Bahnhofs Saint-Charles zeigen sie sich entschlossen. «Was für Privi­legien sollen wir ­haben?» fragt Zugsbegleiter Eric. «Diese Woche habe ich drei verschiedene Schichtdienste und schlafe nur zweimal zu Hause. Dafür bekomme ich nach 13 Dienstjahren 1600 Euro, mit den Zulagen 2100 (rund 2450 Franken).» Eine Kollegin gesellt sich dazu: «Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern für den ganzen Service public. Gegen soziale Not in der ‹Macronie›.»

Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zogen an ihrem ersten Aktionstag 325’000 Beamte, Krankenpfleger, Anwältinnen, Gymnasiasten, Lehrer und Studenten mit. Eine Anwältin sagte an der Marseiller Demo zu work: «Macron sucht den Bruch. Wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, ist es um Frankreich geschehen. Es ist unsere letzte Chance.»


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