Editorial

25 Jahre Brunner-Effekt

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Geduld bringt den Frauen keine Rosen. Das sagt die Historikerin Fabienne Amlinger. Sie hat den Umgang von FDP, CVP und SP mit ihren Frauenorganisationen ab Einführung des Frauenstimmrechts 1971 bis 1995 erforscht. Und kommt zum Schluss: Nur wenn die Frauen auf den Putz hauen, bewegt sich was. Zum Beispiel vor 25 Jahren: Am 3. März 1993 bebt die Schweiz. Eben hat das Parlament SP-Bundesratskandidatin Christiane Brunner eine schallende Ohrfeige verpasst. Und statt der zweiten Frau in der Geschichte der Eidgenossenschaft einen weiteren Mann gewählt. Ein Sturm bricht los, zu Tausenden protestieren Frauen und Männer gegen die Nichtwahl der charismatischen Gewerkschafterin. Die Ohrfeige, die Brunner bekam, war eine Ohrfeige für alle Frauen. Umso mehr, als ihre Gegner direkt auf die Frau spielten. Ein anonymes «Komitee für die Rettung der Moral unserer Institutionen» drohte damit, kompromittierende Fotos von Brunner zu veröffentlichen. Das war der Anfang einer Dreckkampagne, wie sie die Schweiz bis dahin noch nie gesehen hatte. Und der Beginn eines Frauenfrühlings.

Die bösen Mädchen kommen überall hin.

PFISTER. Vom Brunner-Effekt profitierten vor allem auch die bürgerlichen Frauen, sagt Forscherin Amlinger im grossen work-Interview. Treu und geduldig hatten sie bisher ihren Parteien gedient. Forderten wenig und gewannen nichts. Allen voran die freisinnigen Frauen: Ihr Weg zur Emanzipation war der steinigste, sagt Forscherin Amlinger. Ist es immer noch, wie die Wahl von Ignazio Cassis zeigte. Auch bei der CVP steht immer schon ein (Gerhard) Pfister in den Startlöchern. Das zeigen die aktuellen Debatten um die Nachfolge der wohl als nächste zurücktretenden Doris Leuthard. Wird es ein Nachfolger, dann sitzt im Bundesrat nur noch eine Frau. 2010 waren die Bundes­rätinnen noch in der Mehrheit.

SUBITO. Statt vorwärts geht es wieder zurück. 25 Jahre nach Brunner schliesst der Aargau sein Gleichstellungsbüro. SVP und Teile des Freisinns und der CVP haben es regelrecht ausgehungert. Und wieder jagt das Treiben der Machos die Frauen auf die Strasse. Für den Frauentag am 8. März rufen sie in Aarau zur Protestkundgebung auf. Gut so! Und noch besser: Im Kanton Jura steht die erste Subito-Initiative, die die Lohngleichheit endlich umsetzen will. Ausgeheckt hat sie die Unia, allen voran eine kämpferische Frau: die Gewerkschafterin Marie-Hélène Thies. Auch sie weiss: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.


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