Editorial

Ist es Sadismus?

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Es weihnachtet sehr. Nein, es ist nicht der Duft von Schnee, es sind auch nicht die Augen der Kleinen, die sich am Fenster von Franz Carl Weber festsaugen. Es schneit wieder Entlassungen: das ist es! Da kann Heiligabend nicht mehr fern sein. Ist denn nichts mehr heilig? Kahlschlag bei General Electric (GE) im Aargau: 1400 Stellen sollen weg. Abwrackentscheid beim Solarunternehmen Meyer Burger in Thun (minus 100–160 Stellen) und Auslagerungspläne bei ABB Sécheron in Genf (minus 150 Stellen). Ist das Zufall? Ist es Sadismus? Sagen sich die Finanzwölfe in den Teppichetagen vielleicht: «Kommt, jetzt reissen wir noch ein Schaf!? Quasi letzte Ausfahrt vor Bethlehem?

TABULA RASA. Im Dezember kommen die Zahlen fürs ganze Jahr zusammen. In den Firmen herrscht Bilanzstimmung. Man schaut die Kosten an. Und landet schnell bei den Personalkosten. So erklärt die vorweihnachtliche Entlassungsorgie der deutsche Arbeitsrechtler Alexander Bredereck. Firmen wollen den Gewinn verbessern, der Stellenhammer saust nieder. Und so mancher Chef, der Kündigungen bisher vor sich hergeschoben habe, mache jetzt reinen Tisch. Tabula rasa – und dann tschüss und heim zum Kuscheln. Auf die Frage, ob er selber denn noch bleiben könne, antwortete der GE-Schweiz-Chef Michael Rechsteiner dem «Blick»: «Ich gehe heute abend nach Hause, und ich weiss, dass ich noch einen Job habe.» Die Belegschaft wird sein Glück zu schätzen wissen.

Es schneit wieder Entlassungen.

KEIN CHABIS. Ist es schon Wahnsinn, so hat es doch Methode. Erstens: In der Schweiz können Firmen einfacher und billiger entlassen als anderswo in Europa. Der Arbeitnehmendenschutz ist schwach. Anders als andere Länder macht die Schweiz zweitens keine Industriepolitik. «Ein Chabis» sei die Industriepolitik à la française, sagt Bundesrat Schneider-Ammann. Dumm nur für den Chabis-Minister: Frankreich blieb bisher vom Abbau bei GE verschont – dank einem Deal der Regierung mit General Electric. Drittens: Statt einer vernünftigen Industriepolitik macht die Schweiz eine verheerende Geldpolitik. Hätte Nationalbankchef Thomas Jordan den erfolgreichen Frankenmindestkurs im Januar 2015 nicht aufgehoben, hätten wir heute 100 000 Jobs mehr. Das sagt HSG-Ökonom Franz Jaeger, kein Linker. Und verlangt von der Nationalbank faktisch einen neuen Mindestkurs. Es könne wieder zu einem Frankenaufwertungsschock kommen, warnt er. Der Stellenhammer ginge dann nicht nur im Dezember nieder, sondern auch an Ostern und Pfingsten.

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