Editorial

Letzte Wahl

Oliver Fahrni

In Marseille hoben am Nebentisch ein paar französische Grüne und SP-Politiker ihr Glas auf den Wahlsieg der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel. «Une grande dame», sagte eine Sozialistin, «sie hat uns mit den Flüchtlingen gezeigt, was uns auch in Frankreich gut angestanden hätte.» Die «grosse Frau» der europäischen Politik hat ihre wohl letzte Wahl gewonnen. Ein guter Grund, sie auf die work-Titelseite zu stellen.

FATA MORGANA. Merkels Wahl riecht jedoch nach Niederlage. Nicht nur, weil nun mehr als 90 pöbelnde Rechtsradikale ins Parlament einziehen. Ein Schock, 72 Jahre nach dem Dritten Reich. Angela Merkel ging unterwegs auch die SPD verloren, die treue Gehilfin ihres falschen Wirtschaftswunders, das massenhaft arbeitende Arme produziert, wie work-Redaktor Michael Stötzel aufzeigt (zum Artikel). In Deutschland können 16 Prozent nicht mehr von ihrer Arbeit leben. Das schafft Verheerung in den Köpfen und ist einer der Gründe für den Aufstieg der AfD. Der andere ist das Fehlen einer starken kulturellen und politischen Alternative. Eigentlich wäre dies der Part der Sozialdemokratie. Doch die Sozis schielten nur auf den Soziussitz hinter Merkel. Danach war dem SPD Kandidaten Martin Schulz die Erleichterung anzumerken, dass er wenigstens noch vor der AfD gelandet war.

BLICK NACH PORTUGAL. Merkel wird nun mit der scharf neoliberalen FDP ein Bündnis suchen. Dann wird undenkbar, was Europa dringend brauchte und sogar der Internationale Währungsfonds empfiehlt: die Erhöhung der deutschen Löhne. Deutschland rückt nach rechts. Europa rückt nach rechts, in Frankreich mit Emmanuel Macron, in Italien wohl bald mit der Partei Cinque Stelle. Nicht die neuen Rechtsradikalen sind der Kern des Problems, sondern die Fortführung einer Wirtschaftsund Steuerpolitik für die Reichen. Kann die SPD, die jetzt in die Opposition will, mit dieser Politik brechen? Im Verbund mit der Linken? Vielleicht müssen ihr die Gewerkschaften auf die Sprünge helfen. Vielleicht hilft auch der Blick an die beiden Enden Europas. Würde heute in Grossbritannien gewählt, zöge Labour-Mann Jeremy Corbin in Downing Street ein. Und im krisengebeutelten Portugal sorgt gerade eine Koalition von SP, KP, Grünen und linkem Block dafür, dass die Menschen leise Hoffnung schöpfen.

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