Editorial

Tausendtrillionenhundert

Marie-Josée Kuhn

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Es gibt Zahlen-Menschen, und es gibt Buchstaben-Menschen. Letztere haben eher Mühe, wenn sie viele Nullen auseinanderhalten müssen. Sind das nun 10000 oder 1000000 oder 10000000 Franken? Für Buchstaben-Menschen sind grosse Zahlen also ähnlich unfassbar wie für Kinder: Tausendhunderttrillionenzehn Franken. Und dennoch halten viele von uns Zahlen für glaubwürdiger als Buchstaben. Einer, der diesen Glauben schon früh für seine politischen Interessen nutzte, war der bärtige Bauernführer Ernst Laur (1871–1964). Er sagte: Zahlen sind Soldaten, die viel besser zuschlagen können als alle anderen Argumente. Als Bauernverbands-Chef jonglierte er deshalb schon mit Statistik, bevor es eine Statistik gab. Der Bund sah sich schliesslich genötigt zurückzuschlagen. Mit weniger tendenziösen Zahlen. Und so entstand die offizielle Landwirtschaftsstatistik.

PRIVATSACHE. Statistik, das sind nicht nur leere Zahlenhaufen. Statistik ist hochpolitisch. Das sagt der Historiker Hans Ulrich Jost im work-Interview. Als erster hat er die Geschichte der Schweizer Statistik erforscht und geschrieben. Und zeigt, warum die Schweiz zwar jede Geiss erfasst, aber immer noch keine brauchbare Sterbestatistik nach Berufen hat. Weil die Unternehmer, Bankiers und ihre Politiker keine Sozialstatistik wollten. Sie wollten ihren Kritikern nicht noch Argumente für ihre revolutionären Forderungen liefern. Für die Schaffung einer AHV oder einer Arbeitslosenversicherung. Die Patrons wollten sich auch lohn- und profitmässig nicht in die Karten blicken lassen. Lohnstatistiken seien Privatsache und gingen die Öffentlichkeit nichts an, argumentierten sie.

KEIN WUNDER! Heute haben wir offizielle Lohnstatistiken. Aber der Lohn ist immer noch unser bestgehütetes Geheimnis. Das schadet vor allem den Frauen. Noch immer verdienen sie rund zwanzig Prozent weniger als die Männer. Doch wie sollen sie auf Lohngleichheit klagen, wenn sie nicht wissen, was ihr Arbeitskollege verdient? Lohntransparenz ist das A und O für Lohnfairness. Jetzt zeigt eine Umfrage des Karrierenetzwerks Xing: 71 Prozent von tausend Befragten in der Deutschschweiz wünschen sich volle Lohntransparenz in ihrem Betrieb. Nur 7 Prozent sind vehement dagegen. Ist doch prima! Eher skeptisch reagieren die, die über 100’000 Franken im Jahr verdienen. Kein Wunder, dass sie den Überblick verlieren, bei all den Nullen!

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