Editorial

Alles Populismus, oder was?

Marie-Josée Kuhn

«Ist dieser Mélenchon in Frankreich nicht ein Linkspopulist?» Derart misstrauisch fragte kürzlich ein Gewerkschafter nach dem französischen Linkspolitiker, der es in den Präsidentschaftswahlen richtig weit gebracht hat. Mit seinem kapitalismuskritischen, sozialen und ökologischen Programm holten er und seine Bewegung in Marseille stolze 41 Prozent der Stimmen. «Linkspopulist» ist das Schimpfwort der Saison. Es meint Linkspopulist = Demagoge = gefährlich. Es soll linke Politik diffamieren, die dem Volk aufs Maul schaut und die zieht. Wo mit diesem Schlötterlig politisiert wird, ist auch der «Rechtspopulist» in Gebrauch. Beide werden dann gerne gleich(böse)gesetzt. Das ärgert nicht nur den deutschen Kolumnisten und «Freitag»-Verleger Jakob Augstein. Doch ihm kommt das Verdienst zu, kürzlich in einem gescheiten Interview im «Tages-Anzeiger» einige Pflöcke zu diesem Geschwätz vom Populismus eingeschlagen zu haben.

GUT VEREINFACHT. Augstein sagt: «Jede Politik, die keine Eliten- oder Expertenpolitik ist, muss populistisch sein – das heisst, sich ans Volk wenden.» Deshalb sei Populismus auch nicht schlecht, nur schlechter Populismus sei schlecht. Wenn einer zum Beispiel ein Dauerlügner sei wie Donald Trump. Nicht aber, weil einer oder eine mit Emotionen politisiere: «Politik ist ein emotionales Geschäft.» Oder mit Vereinfachungen: «Gut vereinfachen können Sie nur, wenn Sie eine Sache durch und durch verstanden haben.» Das müssten endlich auch die Linken kapieren, schliesst Aug-stein: Nur ein erfolgreicher linker Populismus könne den Vormarsch der Rechtsnationalisten stoppen.

EINE ALTERNATIVE. Die «Mélenchonianer» in Frankreich haben die Neofaschistin Marine Le Pen nicht stoppen können. Genauso wenig gelang es dem linken Bernie Sanders und seinen Leuten in den USA, den Durchmarsch von Trump zu verhindern. Dennoch: Während die Sozialisten in Frank-reich jetzt tot am Boden liegen, hat Mélenchon gezeigt, dass es eine Alternative zum Brutalo-Kapitalismus gibt. Nach dreissig Jahren neoliberaler Gehirnwäsche hat es der studierte Philosoph geschafft, im Namen der Schwachen Politik gegen die Raffgier der Starken zu machen. Es ist eine erfolgreiche, linkspopulistische Politik. Und unterscheidet sich damit grundlegend von den Rechtspopulisten. Denn die machen im Interesse der Starken eine Politik gegen die Schwachen.

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