Ob in Polen oder in den USA: wo rechtskonservative Männerregierungen das Steuer übernehmen, attackieren sie die Rechte der Frauen. Zum Beispiel das Recht auf Abtreibung. Doch sie sollten die Frauen besser nicht unterschätzen.
MÄCHTIG: Rund vier Millionen Menschen, die meisten davon Frauen in selbstgestrickten, grell pinken «Pussyhats», gingen am 21. Januar 2017 in rund 500 Städten der USA auf die Strasse. (Foto: Reuters)
Washington, 21. Januar, Frauenmarsch. Auf der Bühne stiefelt Schauspielerin Ashley Judd mit ihren Cowgirlboots hin und her. Sie heizt den Frauen ein – mit dem Rap der 19jährigen Nina Donovan aus Tennessee. Hart, schnell, schrill: «Ich bin eine böse Frau (nasty woman)! Eine laute, vulgäre Frau – und stolz darauf (nasty, vulgar and proud)! Und ich sage euch: Unsere Pussies sind nicht zum Grapschen da. Unsere Muschis sind zu unserem Vergnügen da. Und um neue Generationen böser, vulgärer, stolzer, christlicher, muslimischer, buddhistischer und Sikh-Frauen zu zeugen, neue Generationen böser Frauen. Wenn du also eine böse Frau bist oder eine liebst, die es ist, dann ruf jetzt: Hell, yes!» Hell, yes! Zum Teufel mit Trump. «Dump the Trump»: Versenkt ihn! Eine halbe Million Frauen (und Männer) protestierten alleine in Washington gegen den Grapscher-Präsidenten der USA. Die grössten Kundgebungen seit Vietnam. Girlpower gegen Trumptower. Junge Frauen, ältere Frauen, ganz alte Frauen, Mütter mit Töchtern. Bürgerrechtsaktivistinnen, Anti-Globalisierungs-Aktivistinnen, Feministinnen, ehemalige Anti-Vietnam-Aktivistinnen, Mütterberatungsaktivistinnen, Umweltaktivistinnen, Bernie-Sanders-Aktivistinnen, Aktivistinnen von «Black Lives Matter» gegen Polizeigewalt an Schwarzen, Gewerkschafterinnen, Lesben-Aktivistinnen, Promis: Madonna, Cher, Whoopie Goldberg, Yoko Ono und und und. Ein richtiger Volksaufmarsch. Tausende handbeschrifteter Plakätchen. Eine alte Frau mit dem Slogan: «Kaum zu glauben, dass ich immer noch gegen diese Scheisse protestieren muss!» Und dann die Anti-Trump- Hymne. Geschrieben hat sie Sängerin Fiona Apple: «Wir wollen deine kleinen Hände nicht in der Nähe unserer Unterhosen!»
«Kaum zu glauben, dass ich immer noch gegen diese Scheisse protestieren muss.»
PUSSYHAT
«Pussy» nennt Frauengrapscher Trump die Vagina. In einem Video prahlte er: «Wenn du ein Star bist, dann lassen die Frauen es zu. Du kannst alles machen.» Er könne die Frauen sogar zwischen die Beine grapschen: Grab by the pussy. Gegen Trumps Vergewaltigermentalität schlagen die Muschi- Pussies jetzt zurück. Mit dem Wort, das er so verächtlich ausspuckt: Pussy. Die Frauen sagen: Ja, hier, wir haben eine Vagina, aber nicht für dich: Viva la vulva! Es leben unsere Pussyhats. «Pussy» heisst auch Kätzchen, deshalb haben die pinkfarbenen Mützen auf dem Frauenmarsch zwei Ohren (die Anleitung zum Selberstricken siehe links).
Die Idee für die Kätzchenmützen hatten Mü Krista Suh und Jayna Zweiman aus Los Angeles. Und ihr Strickkollektiv. Sie riefen via Facebook dazu auf, am Frauenmarsch in «pinkiges Meer» zu schaffen, ein Zeichen zu setzen. «Strickt, häkelt und trägt dann eure Pussymützen laut und stolz», so die Anweisung. Kat Coyle, in L. A. sozusagen der Star der Strickerinnen, entwirft das Muster. Alle sollen stricken, auch die, die nicht nach Washington pilgern können «Eure Pussyhats bitte uns schicken, damit wir sie in Washington verteilen können.» Und die Frauen tun es: 100’000 Kätzchenkappen, so die Schätzung. Nirgendwo gibt’s mehr pinkfarbenes Garn. Leider ausverkauft!
MOJA PIPKA
Pussy heisst auf polnisch «pipka» und ist auch dort der elektrisierende Weckruf der Frauen. Gegen eine nationalistische, konservativ- katholische Rechtsregierung. Im Herbst beschloss diese, das ohnehin schon restriktive Abtreibungsgesetz noch zu verschärfen. Die Reform wäre praktisch einem Abtreibungsverbot gleichgekommen. Doch die Machthaber hatten ihre Rechnung ohne Malgorzata «Gocha» Adamczyk gemacht. Sie ist jung, sie ist Marketingspezialistin, und sie ist Mitglied von «Razem», so was wie die Juso von Polen. Und sie hat einen leuchtend roten Haarschopf. Auf ihrem Profilbild auf Facebook ist sie wie ein Clown geschminkt, mit roten Lippen fast bis zu den Ohren und schwarz triefendem Kohle-Blick. Via soziale Medien ruft Malgorzata zum Widerstand gegen das geplante Abtreibungsverbot auf. Zum schwarzen Protest, sie gibt ihm den Namen «czarny protest».
Und weiter schreibt sie: «Kleidet euch schwarz und geht auf die Strasse. Postet vorher ein Selfie und sagt, dass ihr mitmacht.» Erst 70, dann 500, 4000 Likes, Malgorzata wird überrannt. Ihre Kritiker lästern: «Mit Likes kannst du nicht gewinnen.» Doch Malgorzata mobilisiert weiter. An einem grauen Montag dann der Paukenschlag: Überall in Polen strömen Frauen und Männer in Schwarz auf die Strassen. Es regnet, ein riesiges Meer von schwarzen Schirmen breitet sich aus und mit ihm die Botschaft an die Regierung Kaczinsky: Nicht mit uns! Unsere Körper gehören uns. Moja pipka: meine Pussy! Polen ist platt, so etwas hat das Land noch nicht gesehen. Gewerkschafter Adam Rogalewski sagt es so: «Es war überwältigend, auch die Gewerkschaften waren überrascht, völlig überrascht, denn die Bewegung entstand quasi aus dem Nichts.» Die Regierung kommt unter Druck, sie krebst zurück. Malgorzata ist «bloody happy», saumässig glücklich! Und sie sagt: «Mit Likes kann man nicht gewinnen, wir haben aber gewonnen.»
Hell, yes, zum Teufel mit Trump! Girlpower gegen Trumptower.
SCARLETT JOHANSSON
Auf Facebook beginnt auch der Frauenmarsch in den USA. Auch er spontan und abseits der grossen Partei- und Gewerkschaftsapparate. Es geschieht am 9. November, dem Tag nach der Wahl Trumps. Die pensionierte Anwältin Teresa Shook aus Hawaii und die New Yorker Fair-Trade- Mode-Designerin Bob Bland rufen zum Protestmarsch in Washington. Einen Tag nach Trumps Vereidigung soll er steigen. Hunderte, Tausende, Hunderttausende Frauen zeigen sofort Interesse. Ein Organisationskomitee von jungen Frauen übernimmt, mit dabei eine Afroamerikanerin, eine palästinensische Muslimin und eine Hispánica, die meisten mit Erfahrungen als Aktivistinnen in Bürgerrechtsorganisationen gegen Polizeigewalt, Rassendiskriminierung oder für mehr Waffenkontrolle. Innerhalb von zwei Monaten sammeln sie eine Million Dollar Spenden. Und sie verkünden: «Mit dem Frauenmarsch wollen wir mehr als nur gegen Trump marschieren, wir wollen vorsorglich für die Frauenrechte einstehen, denn Frauenrechte sind Menschenrechte.» Gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, gegen Frauenhass, für soziale Gerechtigkeit und ein gutes Gesundheitssystem für alle. Trump will Obamas Krankenversicherung kippen. (Ein Witz, der keiner ist: Fragt ein Ami-Bub seine Mutter: Was ist ein Kanadier? Sagt die Mutter: ein Amerikaner ohne Waffe, aber mit einer Krankenversicherung!) Und Trump ist auch die Nichtregierungsorganisation Planned Parenthood ein Dorn im Auge. Wie bereits allen Republikanerpräsidenten seit Reagan vor ihm. In den USA, aber auch in Afrika unterhält Planned Parenthood Zentren für Familienplanung und bietet teilweise auch Abtreibungen an. Das passt Pro-Life- Trump und seinem Stündeler-Vize Mike Pence überhaupt nicht. Am Frauenmarsch bricht Schauspielerin Scarlett Johansson eine Lanze für Planned Parenthood. Sie, die ihr Privatleben schützt wie keine andere und deshalb auch nicht auf Facebook ist, tritt heraus und wird persönlich. «Weil die politische Situation es erfordert.» Auch ihr hat Planned Parenthood geholfen, früher. Daheim hatten sie wenig Geld. Einen Gynäkologen hätte sie sich nicht leisten können. Ihre Schwester auch nicht. Johansson: «Für alle, die auf Planned Parenthood angewiesen sind, beginnen nun ungewisse Zeiten.»
MALGORZATA ADAMCZYK
Einen Tag nach dem Frauenmarsch unterzeichnen Donald Trump und seine Männerriege eine Order, die die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsorganisationen verbietet, die auch Abtreibungen vornehmen. Also auch von Planned Parenthood International. Die Massnahme trifft die Ärmsten in Afrika. Sie werden wieder zu Engelsmachern gehen müssen – und sterben. Schauspielerin Scarlett Johansson sagt: «Wir dürfen nicht aufgeben, wir müssen für unsere Bedürfnisse einstehen.» Doch: Wie lange wird der Pussy-Power brennen? Gelingt die nötige Bündnispolitik, um genügend schlagkräftig zu sein? Zum Beispiel mit der Bernie-Sanders-Bewegung? Oder mit den Gewerkschaften? Die Schriftstellerin und Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis sieht es so: «Die nächsten 1459 Tage der Trump-Regierung werden 1459 Tage des Widerstands sein. Dies ist nur der Anfang.» Die Themen sind da. Die Chancen stehen also nicht schlecht. Und auch Malgorzata Adamczyk an der anderen Ecke der Welt will weitermachen. Die junge Warschauerin sagt: «Das war erst der erste Schritt – in Richtung Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes.» 44 Millionen Likes sind für Gocha noch lange nicht genug.
Weltweit fanden am 21. Januar 673 Frauenmärsche statt, an denen insgesamt drei bis vier Millionen Menschen teilnahmen. In London, Paris, Tokyo und auch in Genf. Zum Protest hatte dort Karen Olsen aufgerufen. Sie ist US-Amerikanerin und ehemalige Campaignerin für Obama. Unterstützt haben sie Amnesty International, Greenpeace und die US-Ausländerorganisation Democrats Abroad. 1000 Leute hat Olsen erwartet, doch es kamen 2500 (SDA-Zahlen). Ex-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey war auch dabei und hielt eine Ansprache. Organisatorin Olsen will am Frauentag, dem 8. März, wieder zuschlagen.
Dicke Nadeln, dicke Wolle – und schon ist der eigene Pussyhat fertig gestrickt.
MIAU: Sabine Rebers Pitschi-Pussy mit Pussyhat. (Foto: Sabine Reber)
Einen ganzen Stapel Pussyhats hat work-Redaktorin Sabine Reber gestrickt, sogar einen für ihr Kätzchen Pitschi. Schliesslich heisst «Pussy» nicht nur Vagina, sondern auch Kätzchen. Reber sagt: «Die Mützen sind einfach zu stricken und setzen ein Zeichen: für die Frauenrechte und gegen Trump & Co.» Am internationalen Frauentag, am 8. März, will sie damit auf die Strasse. Deshalb hat sie die Strickanleitung auf Facebook gestellt – und viele Reaktionen darauf erhalten. Reber: «Die Zeit ist reif, dass auch wir gegen die rechtskonservativen Regierungen protestieren, die das Gleichstellungsrad zurückdrehen wollen.»
POLITISCHE TRADITION. Wieso aber greift Reber zum typischsten aller typischen «weiblichen» Hobbies, zu den Stricknadeln? Ist das nicht etwas unemanzipiert? Erstens, weil sie gern stricke, sagt sie. Und zweitens, weil politisches Stricken Tradition habe: «Schon in der Französischen Revolution haben die berühmt-berüchtigten Tricoteuses mit ihrem Strickzeug auf Bänken an der Guillotine gesessen und gewartet, dass die Köpfe der Aristokraten rollen», sagt Reber. Tatsächlich kamen diese Frauen aus der Unterschicht, sogenannte Sans-culottes, und unterstützten die Revolution. Damals hatten die Frauen in Frankreich weder Stimm- noch Wahlrecht. Sie sollten sich zurückhalten, kochen und Kinder erziehen, aber sicher nicht politisieren. Mit dem Strickzeug in die Öffentlichkeit zu treten, also in den männlich beherrschten Raum, war eine mutige Tat, die die Männer entsprechend erzürnte.
Das sei doch ein interessantes Stück Frauengeschichte, sagt Sabine Reber. Und fordert: «Nehmen wir den Faden der Tricoteuses auf, stricken wir für die Demokratie und die Frauenrechte!»
Anleitung: Stricken Sie Ihren eigenen Pussyhat!
Das brauchen Sie dafür:
zwei Stricknadeln Nr. 7, ein bis zwei Knäuel dicke pink- oder lilafarbene Wolle, 1 Wollnähnadel, Schere
Fast 60 Prozent der Frauen haben in ihrem Berufsleben sexuelle Belästigung erlebt. Die Täter: männliche Kollegen oder Vorgesetzte.
ÜBER 1,5 MILLIONEN BETROFFENE: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Massenphänomen. (Foto: Shutterstock)
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